Gut gewollt ist halt nicht gut gemacht. So könnte Amazons konkrete Suspendierung dieses Händler-Kontos beschrieben werden. Und trotzdem ist Amazon verurteilt worden, den Account wieder freizugeben. Das LG München hat gegenüber Amazon sein Urteil mit ›Missbrauch der Marktmacht‹ begründet, berichtet das Handelsblatt. Aber es ist noch nicht alles vorbei.

Was war passiert? Einem Händler wurde vorgeworfen, dass er Bewertungen einkaufe. Deswegen war er bereits früher schon einmal gesperrt worden. Nun erneut und endgültig. Auch sein Guthaben wurde – wie so oft bei Amazon – eingefroren. Im einstweiligen Verfügungsverfahren urteilten die Richter nun, dass Amazon seine marktbeherrschende Stellung missbrauche. Amazon gewährte dem Händler keine Anhörung, sodass die Suspendierung einer anlass- und begründungslosen Sperrung gleichstehe.

Die Ambivalenz liegt klar auf der Hand, denn Amazons Sperrgründe sind richtig und nachvollziehbar, wie aus der Stellungnahme des Unternehmenssprechers hervorgeht: »Sein Konto war früher schon mal gesperrt worden und in der Folge gab er zu, externe Unternehmen beauftragt zu haben, um manipulierte Bewertungen zu erhalten« und »Später haben wir jedoch festgestellt, dass er erneut an Bewertungsmanipulationen mit über 100 dokumentierten Versuchen beteiligt war«. Im Klartext bedeutet das: Er ist bereits in der Vergangenheit gesperrt worden, hat einen Maßnahmenplan erfolgreich geschrieben, ist entsuspendiert worden aber nun erneut aufgeflogen. Die endgültige Schließung des Kontos ist also gerechtfertigt!

Auf der anderen Seite ist Amazons Verhalten zu betrachten. Wichtig ist dabei, den tatsächlichen Sperrgrund außer Acht zu lassen. Dieser ist substituierbar. Am grundsätzlichen Prozess des Plattformbetreibers ändert sich nichts. Trennt ihr also das Vergehen des Händlers von Amazons Prozedere, dann wird ein Schuh draus. Tatsächlich sind das Einfrieren der Guthaben und die sehr lasche Begründung bei Suspendierungen ein echter ›Pain Point‹ bei den Händlern. Amazons Vorgehensweise ist nie nachvollziehbar, die Auszahlungssperre ist mutwillig und selten in der praktizierten Höhe notwendig, denn das Einbehalten der Verkaufserlöse soll lediglich mögliche Rückabwicklungen und Erstattungen von bereits getätigten Transaktionen gewährleisten. Hier sollte sich der einbehaltene Betrag an den tatsächlichen Rückzahlungen orientieren.

Was ist aber denn nun konkret zu fordern? Im Kontext der Kontosperrung muss Amazon seine Prozesse neu aufstellen, denn diese funktionieren nicht. Sie sind fehleranfällig und schaden dem Unternehmen sowie den Händlern. Das entspricht nicht dem Interesse Amazons.

Eine Möglichkeit wäre, die Bildung eines ›Super‹-Teams, welches ausreichend mandatiert ist, zu entscheiden und zu kommunizieren. Wichtig ist, dass es eine vermittelnde Position einnimmt. Es sollten länderspezifische Teams mit Muttersprachlern besetzt werden. Die Zieldefinition sollte sein, die Händlerherausforderungen zu lösen. Das gegenwärtige Vorgehen, also das Erstellen von Maßnahmeplänen, ist nicht zielführend. Händler gestehen teilweise Verstöße gegen die TOS (terms of service = Amazon-Grundsätze), die sie nicht begangen haben, nur damit ihr Account wieder frei kommt. Das ist falsch. Und dann die Kommunikation: Diese findet faktisch nicht statt. Mit den ›indischen‹ Supportmitarbeitern zu schreiben ist schlicht eine Zumutung.

Fazit: Eigentlich ist der Grund, warum Amazon nun zum Um- und Neudenken ihrer Prozesse ›gezwungen‹ wird, egal. Aus Händlersicht ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit dem Marktplatzbetreiber nicht möglich. Aber – und das ist wichtig – es muss an den richtigen Stellschrauben angesetzt werden. Das Unternehmen ist nicht böse, ist aber sicherlich Opfer seiner Organisation und Prozesse sowie der Fehlerkultur (die auch maßgeblicher Erfolgsfaktor ist). Nur, es ist ein schmaler Grad zwischen unnötigen und falschen populistischen Forderungen und tatsächlich bei den Händlern ankommenden Verbesserungen. Das bedeutet auch, dass besonders Händler und Verbände realitätsnahe und positiv formulierte Veränderungen anregen müssen. Falsche Interpretationen von Amazons Verhalten schadet. Den Händlern.

PS: Der Prozess hätte nie verloren werden dürfen. Zumindest dann nicht, wenn Amazon nachvollzieh- und belastbare Prozesse aufgesetzt hätte. Denn tatsächlich hat der Händler sich eine nachhaltige Entfernung vom Marktplatz redlich verdient!

PPS: Auch dieses Beispiel zeigt, wie sich das Unternehmen mit seiner desolaten Prozessstruktur selbst ins Knie … schießt. Amazon ist nicht böse, aber ein Chaoshaufen sondergleichen. Und wenn nun dazu das Kartellrecht nötig ist, das Amazon beizubringen, dann ist das halt so. Eine gute Fehlerkultur ist großartig und Baustein für Erfolg, aber nur so lange Fehler ebenfalls auf einen selbst und nicht auf Dritte gerichtet sind. Ansonsten ist es einfach nur UNFAIR!