Ist es angesichts der Corona-Krise unangebracht, wettbewerbsrechtliche Abmahnungen auszusprechen? In den letzen Tagen schlossen diverse Ladenlokale von Mandanten. Der stilvolle Friseurladen ebenso wie das Fotoatelier. Die Krise macht auch vor Onlinehändlern nicht halt. Professionelle Kücheneinrichtung wird aktuell nicht abgefragt. Auch Luxusartikel, Saunen, TV-Geräte oder beispielsweise Kaffeevollautomaten werden selten gekauft. Die Kunden konzentrieren sich auf das Notwendigste und scheuen Luxusausgaben. Schließlich weiß keiner, wie sich die Situation weiterentwickelt.

Doch nicht alle Händler leiden. In Krisenzeiten gab und gibt es stets Profiteure. Vom arbeitsrechtlichen Fall, in dem ein Angestellter fristlos wegen Diebstahls von Desinfektionsmitteln gekündigt wurde, bis hin zu scheinprivaten Händlern, die mehrere Dutzend Atemmasken bei eBay verkaufen – nur ohne Verbraucherrechte einzuräumen.

Kürzlich erreichte uns der Fall, dass ein neuer Webshop mit sehr dubiosen rechtlichen Informationen entstand. Der Firmenname eines etablierten Händlers von Hygienemitteln wurde ›ausgeliehen‹ und der dessen guter Ruf genutzt, um Geschäfte zu betreiben. Unbekannt bleibt bisher, ob tatsächlich Ware geliefert wird.

Während also Erfindungsreichtum und rechtswidriges Verhalten nicht nur fortbestehen, sondern umständehalber neu entstehen, wäre es doch untunlich, Ahndungsmöglichkeiten aus missverstandener Solidarität, die als Schwäche ausgelegt werden könnte, zu unterlassen.

Natürlich ist es sehr leicht – exemplarisch am Beispiel der üblichen Verdächtigen – die abmahnenden Akteure und die auftraggebenden Unternehmen zu verurteilen, sie in die Ecke des ›eiskalten, skrupellosen Abmahners‹ zu stellen. Schwarze Schafe finden sich in jeder Branche. Bei Anwälten genauso wie bei Händlern, Priestern, Polizisten und bestimmt sicher anderen Dienstleistern. Immer die vermeintlich Schwarzen Schafe zu benennen, um das vom Gesetzgeber normierte Recht zur Abmahnung negativ darzustellen, ist jedoch weder angebracht noch zielführend. Es findet nur allzu leicht eine Verwechslung von Tätern und Opfern statt.

Wettbewerbswidriges Händlerverhalten sollte zu keinem Zeitpunkt verharmlost werden. Erst recht nicht in der derzeitigen Situation. Warum sollte ein Händler sich nicht bei der Stiftung EAR registrieren lassen müssen, während andere anfallende und nicht unerheblichen Kosten einpreisen müssen? Warum sollte der eine ahndungslos Atemmasken und Desinfektionsmittel ohne Retourenproblematik anbieten dürfen, während der redliche Mitbewerber ein Widerrufsrecht einräumen muss? Wer meint, im gewerblichen Umfang Handel treiben zu wollen, der sollte sich kundig machen und notfalls ein paar Euros investieren, um seinen Shop absichern zu lassen. Anbieter von Rechtstexten gibt es zu Hauf. Wer aber materiellrechtliche Regeln des Wettbewerbs missachtet, wer als Scheinprivater duzendfach die Chance der Stunde nutzen will, der ist wohl kaum schützenswert. Derjenige ist Täter. Jederzeit.

Als Organe der Rechtspflege – ob systemrelevant oder nicht – sprechen Rechtsanwälte im Namen der jeweiligen Mandanten Abmahnungen aus. Der Gesetzgeber hat in § 8 Abs. 4 UWG sehr wohl erkannt, dass unberechtigte Abmahnungen vorkommen. Sie können aber stets auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Es sind systemimmanente Instrumentarien für sowohl Abmahner als auch Abgemahnten vorhanden. Darüber hinaus gehende moralische Ansatzpunkte – seien diese existent oder vorgeschoben – helfen sicher nicht, Verstöße zu unterbinden und wettbewerbsrechtlich konforme Märkte zu verteidigen.

Über den Autor

Rechtsanwalt René R., Euskirchen – An der Nesselburg 53a, 53179 Bonn; Tel: +49(0)228-36 81-22 22 – Fax: +49(0)228-36 81-22 23 – Mail: [email protected] – Web: http://www.ra-euskirchen.de