Amazon bezieht in Berlin ein Kaufhaus und möchte von dort aus binnen 2 Stunden das Berliner Umfeld mit über 10.000 Produkten beliefern. Diese Nachricht verbreitete sich am Samstag recht schnell im Netz. Soweit wahr: Amazon hat im Berliner Ku’damm-Karree die ehemaligen Räumlichkeiten vom ProMarkt angemietet. Augenblicklich wurde damit begonnen, die Geschäftsräume für Amazon tauglich umzubauen. Schon ab Mai soll, an 6 Tagen die Woche und binnen 120 Minuten, die Berliner Kundschaft von diesem Stützpunkt aus beliefert werden. Also: Amazon Prime Now in Berlin. Und wir alle wissen: Auch in München wird Amazons Prime Now demnächst eingeführt. Soweit die News.
Neu ist das nicht.
Deutschland ist neben dem Heimatmarkt USA und England der drittwichtigste Markt für Amazon. Daher kann jeder davon ausgehen, dass Dinge, die in den USA oder England passieren, auf kurz oder lang (eher kurz, besser sehr kurz), auch hier bei uns ankommen. Daher wurde bereits seit Mitte vergangenen Jahres kolportiert, dass Amazon in Deutschland mit einem eigenen Lieferdienst, einem eigenen Store und Prime Now präsent sein wird. Wirklich spannend wird es erst dann, wenn Amazon beginnt, Neuerungen erstmalig auf fremden Märkten einzuführen.
Was für ein Hype
Es ist unglaublich, welcher Hype um irgendwelche Neuigkeiten rund um Amazon gemacht wird. Jeder Streik ist in den Medien und man könnte fast meinen, wenn der Geschäftsführer sich mit dem Finger in der Nase bohrt, sind das “Breaking News”. Aber dieses Durcheinander zeigt doch deutlich, mit welcher Emotionalität und welcher Angst Amazon nicht nur vom stationären, sondern auch vom Internethandel betrachtet wird. Und mittlerweile sind so viele Berichte, insbesondere die Markteinschätzung über Amazon, ganz weit ab von der Realität. Hierzu hat Peter Höschl, von Shopanbieter.de, einen tollen Artikel geschrieben: “Einspruch: Amazon wird schon bald 100% Marktanteil in Deutschland haben!” Lassen wir uns doch alle mal wieder auf dem Boden der Tatsachen zurückkommen und erstarren nicht wie das Karnickel vor der Schlange, nur weil es von Amazon mal wieder was Neues gibt.
Amazon der Kundenversteher!
Mehr ist es nicht. Und Hut ab dafür! Amazon versteht nicht nur seine Kunden besser, sondern ist auch in der Lage, hieraus Handlungsanweisungen für sich zu ziehen. Wenn der Kunde in 2 Stunden seine Ware haben möchte, so soll er die auch in dieser Frist bekommen. Da muss man nicht über Amazons Strategien philosophieren. Im Grunde genommen ist es die logische Konsequenz.
Hier mal ein Zitat von Henry Ford: “Hätte ich meine Kunden gefragt, was sie sich wünschen, so hätten sie geantwortet: schnellere Pferde”.
Und natürlich gehört auch ein “Macher-Gen” dazu, dem Kunden mal das ein oder andere Tasty vor die Füße zu werfen und zu schauen, ob’s angenommen wird.
Die alten Kaufmannswerte: Handel ist Wandel.
Hoppla? Schon mal gehört? Die Handelsbranche muss nicht immer alles disruptiv oder mit Alexander Grafs angewandter “2. Hälfte Schachbretttheorie” erklären. Handel ist Wandel! Das galt damals und gilt heute. Auch wenn das noch so abgedroschen klingen mag, diese Weisheit ist aktueller denn je! Ausgehend vom Totalversagen großer Marktteilnehmer und noch größerer Handelsverbände, ist es doch kein Wunder, dass es jetzt schon fast fünf nach zwölf ist, um für die KMU eine vernünftige, umsetzbare, finanzierbare Strategie im Umgang mit Amazon zu entwickeln. Ob stationär oder Onlinehandel. Und ganz ehrlich: In der Haut der Versager von HDE und BEVH möchte ich nicht stecken. Ich würde mich in Grund und Boden schämen, für so viel substanzlosen und unhaltbaren Dünnpfiff, den diese Herren in den letzten Jahren von sich gegeben haben!
Amazon ist nicht euer Sargnagel!
Nein, Amazon ist nicht euer Untergang. Euch zu Grabe tragen, das könnt ihr selbst schon am besten. Ohne Zweifel ist Amazon der Beschleuniger, quasi der Kompostwurm, der euch beim Verfaulen hilft.
Es fehlt das Macher-Gen!
Dick und gemütlich geworden, durch die fetten Jahre, haben die meisten Händler, Verbände und sonstige Propheten der Branche vergessen, dass sich jeder Unternehmer tagtäglich dauerhaft und belastend behaupten muss. Um nicht schon wieder Handel ist Wandel zu sagen – hoppla – hier ein Business-Zitat aus dem 1. Jahrhundert: “Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.” (Lucius Annaeus Seneca)
Die Gründe mögen verschieden sein, warum sich der Handel in den letzten Jahren so schwer tut. Manchen, denen ich vorwerfe, sie seien zu träge, sagen mir “Nein, wir haben zu viel um die Ohren”. Andere sagen “Uns fehlen die Ressourcen”. Wieder andere: “Die anderen sind schuld”.
Der Punkt ist doch aber der: Es gab und gibt Veränderungen, auf die ich reagieren muss. Und möglichst nicht so, dass ich eine Kopf-in-den-Sand-Politik fahre.
Folgt nicht den falschen Propheten!
Es mag noch so schön und bequem sein, als stationärer Händler auf Amazon und den Internethandel schimpfen zu können. Und wie großartig ist es, über die kleinen Händler zu schimpfen, weil sie nicht kalkulieren können? Ach, und diese schimpfen wieder über die Chinesen. Und dann noch diese Scheinprivaten! Am Ende des Tages ist aber doch jeder selbst für sein Handeln verantwortlich und sollte einmal vor seiner eigenen Tür kehren und eine Sache erkennen: Ihr habt’s verpennt!
Was also tun?
Bevor ihr anfangt Aufgaben an Dritte zu adressieren, solltet ihr euch selber für das was kommt bereit machen: Veränderung! Gleich hinterher: Ungewissheit! Ich will gar nicht vom Agieren beginnen. Aber ihr nehmt um euch rum so viele Herausforderungen und Aufgaben wahr, ohne zu reagieren. Ihr festigt euch lieber immer mehr in eurer Komfortzone. Das ist in meinen Augen auch der große Fehler, den nicht nur Kleinunternehmer, sondern auch unsere Großindustrie macht. Die meisten sind völlig von der Vielzahl Informationen, Neuigkeiten und Möglichkeiten, die sich bieten, überfordert. Also wäre es denn dann nicht mal an der Zeit, den Hintern hochzubekommen und sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass Neues und Herausforderndes vor einem liegt?
Meine Meinung: Die wenigsten Unternehmer brauchen einen Unternehmensberater, sondern sollten wir einmal auf die Couch vom Psychiater gehen.
Tatsächlich ist es doch so, dass jeder Händler, egal ob stationär oder online, ob klein oder groß, doch einen ganzen Strauß an Handlungsmöglichkeiten hat, die er wahrnehmen kann. Und es ist doch durchaus auch so, dass Amazon nicht auf jede Idee kommt! Schauen wir uns doch nur einmal Zalandos Logistikidee an! Oder eBays Mönchengladbach? Oder den Erfolg von Curated Shopping?
Das ist doch bloß dummes Geschwätz, oder?
Wirklich? Wie alt ist eigentlich Zalando? Schaut euch einmal die Erfolge vom Musikhaus Thomann an! Chal-Tec! Die Re-Commerce-Buden. Oder Oem-Equipped.de
Alleine wirds knifflig, aber zu viele Köche verderben den Brei…
… und den letzten beißen die Hunde. Das ist eigentlich auch ein großes Dilemma, denn große Plattformen, wie zum Beispiel eBay, die, mit ihrer Community, das Potenzial hätten, Amazon einen Stinkefinger zu zeigen. Sie tun sich sehr schwer, sich richtig zu positionieren, und sind leider zu langsam. Aber auch andere Plattformen sind nicht besser! Rakuten würde ich Großes Zutrauen. Auch sie hatten lokal schon etwas probiert aber leider ist auch hier der Goldsack nicht weit genug aufgemacht worden. Initiativen, wie zum Beispiel Online City Wuppertal, waren auch zu halbherzig, um etwas zu bewegen. Ideen sind genug da, aber entweder fehlt es schlicht an Potenzial oder aber die Organisationen ist zu langsam. Für mich als Außenstehender wirken fast alle Unternehmungen chaotischer. Anstatt Ressourcen zusammenzulegen und gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, scheint hier der Spruch zu stimmen: Viele Köche verderben den Brei!
Herr lass Hirn regnen, aber nimm die Schirme vorher weg!
Amazon ist aus dem Handel nicht mehr wegzudenken! Es ist ein starker Konkurrent! Aber deswegen den Kopf in den Sand zu stecken und den falschen Propheten zu folgen, wäre falsch. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber!
Schaltet euren Kopf ein und sucht für euch eine passende Strategie, wie ihr in eurem Wettbewerbsumfeld erfolgreich sein könnt. Dazu gehört vor allem, in Gang zu kommen.
Andreas Müller, Geschäftsführer von Deltatecc, stellte mir auf Facebook folgende Fragen:
Wird es Amazon Prime Now nur in 8-15 Ballungszentren in DE geben, oder wird der Umschlag groß genug sein, um es in Städte, wie beispielsweise K-Town, runter zu brechen?
Andreas, egal was Amazon macht oder plant, die Frage ist doch die: Wie bist du in der Lage, wirtschaftlich, innerhalb von 2 Stunden, deine Ware an deine Konsumenten in deinem Nahbereich zu liefern?
Gibt es eine Wachstumsgrenze für Amazon oder können die sich in 1-2 Dekaden 70% des Marktes schnappen?
“Only the sky’s the limit.” Und Jeff hat uns gezeigt, dass selbst das falsch ist. Fliegt er nicht in seiner eigenen Rakete in den Weltraum? Ich weiß nicht, ob es eine Wachstumsgrenze für Amazon gibt. Ich halte diese Frage aber auch nicht für relevant. Die Frage ist doch, wie kann ich mit Amazon als Marktteilnehmer selber wachsen?
Was passiert mit dem klassischen E-Commerce? Wird das weiter wachsen und gedeihen oder kann das weg?
Immer dieses Kanaldenken. Ja, ich denke in der Tat, dass reine Pure-Player vor immensen Herausforderungen stehen. Aber ich sehe es definitiv nicht so, dass diese nicht auch zu meistern sind. Die Zukunft sehe ich in der Tat im Handel.
Was wird für den normalen Händler die zukunftsweisende Strategie sein? Multiplattformen?
Weitermachen. Aufhöhren. Anders machen. Ich glaube nicht daran, dass es einen normalen Onlinehändler oder nur eine Strategie gibt. Letztlich musst du in der Lage sein, Antworten und Handlungsweisen zu finden. Die zentrale Frage dreht sich um den Kunden. Was will er und kann er was mit deinen Ideen anfangen? Mal ein kleines Beispiel: Schau dich doch einmal in den ganzen Onlineshops um. Wer bietet seinem Shop einen Express Check-out an? Produktbewertungen? Wer verlinkt auf Testergebnisse? Wer hat Mut zu Rezensionen?
Du brauchst nicht immer eine hochtrabende Strategie. Es reicht aus, den eigenen Kopf einzuschalten. Seine eigenen Möglichkeiten ehrlich einzuschätzen, dem Kunden zuzuhören und der Mut, extravagante Wege zu gehen, sind Gold wert.
Und zum Schluss mal einfach so:
Wer hat wohl mehr Produkte in den Ballungszentren an Lager, Amazon mit seinem Stadtlager oder die Summe der Händler?