Mit den aktuellen europäischen Insolvenzzahlen beschäftigt sich Creditrefom in einer Studie und betrachtet die Insolvenz Zahlen bis 2021. Das Insolvenzgeschehen in Europa war auch 2021 durch Sondereffekte massiv verzerrt. In Westeuropa sowie Norwegen, der Schweiz und Großbritannien wurden rund 110.000 Unternehmensinsolvenzen gezählt. Damit sank die Zahl der Fälle unter das historische Tief des Jahres 2020 (rund 116.000 Fälle). Doch diese Zahlen spiegeln die Situation vieler Unternehmen und Wirtschaftsbereiche nur unzureichend. Aktuelle Zahlen zeigen zudem eine teils drastische Trendumkehr und so die Gefahren der krisenbedingten Hilfspolitik auf.
Die Corona-Maßnahmen haben Insolvenzen verhindert
Die Insolvenzzahlen in Europa wurden auch 2021 von den politisch motivierten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geprägt. In Westeuropa (EU-14 sowie Norwegen, die Schweiz und Großbritannien) wurden im Jahresverlauf insgesamt 110.451 Unternehmensinsolvenzen registriert. Das waren 5,1 Prozent weniger als im Vorjahr (2020: 116.446).
Die europäische Wirtschaft befand sich auch 2021 in einer Ausnahmesituation. »Die Pandemie bremste in vielen Bereichen die Geschäftsentwicklung. Gleichzeitig halfen zahlreiche Hilfsmaßnahmen der Regierungen, die Folgen abzufedern und aufzuschieben«, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung in Neuss. »Die aktuellen Insolvenzzahlen spiegeln damit die wahre wirtschaftliche Situation vieler Wirtschaftsbereiche nur unzureichend«, sekundiert Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer von Creditreform Österreich.
Die Zombies kommen
Im Vergleich zum letzten Jahr vor der Corona-Krise (2019: 159.832) liegt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Europa mittlerweile das zweite Jahr in Folge um rund 50.000 Fälle niedriger. »Je länger die staatlichen Subventionen für die Unternehmen anhalten, desto wahrscheinlicher wird das Entstehen von Zombieunternehmen, die nur noch unter diesen speziellen Bedingungen überleben können«, warnt Hantzsch.
Veränderungen wie beispielsweise eine Zinswende und ein Auslaufen der Hilfsmaßnahmen könnten den Druck auf die Unternehmensstabilität erheblich verschärfen. Eine (Nachhol-)Insolvenzwelle werde dann wahrscheinlicher.
Unterschiedliche Entwicklungen in der EU
In den einzelnen Ländern Westeuropas lassen sich für 2021 unterschiedliche Entwicklungen konstatieren. So verzeichneten Dänemark, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Italien und die Schweiz bereits Anstiege der Insolvenzzahlen. In vielen Ländern nahmen die Insolvenzen aber erneut ab – so beispielsweise in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.
Weniger Pleiten im Handel
Nach Wirtschaftsbereichen lassen sich stärkere Rückgänge im Handel (minus 10,1 Prozent) und im Verarbeitenden Gewerbe (minus 8,5 Prozent) feststellen. Dagegen lagen die Insolvenzzahlen im Baugewerbe etwas höher als im Vorjahr (plus 1,2 Prozent). Um knapp vier Prozent gingen die Zahlen im Dienstleistungssektor zurück. »Trotz der offensichtlichen Krisenbetroffenheit von Handel und Gastgewerbe während der Corona-Zeit spiegelt sich das im Insolvenzgeschehen nicht wider«, erläutert Weinhofer.
Im Gegenteil: Der Anteil dieses Wirtschaftssektors an allen Insolvenzen sei aktuell mit 28,5 Prozent deutlich niedriger als vor der Corona-Krise (2019: 31,5 Prozent). »Diese Entwicklung lässt sich nur mit Sondereffekten der Pandemie-Bekämpfung erklären«, führt der österreichische Experte weiter aus.
Aufgepasst wer mit Osteuropa viel Geschäft macht
Im Gegensatz zur Entwicklung in Westeuropa nahmen die Insolvenzzahlen in Osteuropa zu. Im zweiten Corona-Jahr 2021 waren in den zwölf betrachteten Ländern gut 39.000 Firmeninsolvenzen zu verzeichnen. Gegenüber dem Vorjahr (2020) war das ein Plus von 5,9 Prozent. Dabei verzeichneten Kroatien, Rumänien, die Slowakei, Tschechien und Ungarn steigende Insolvenzzahlen. Nochmals deutlich zurückgegangen sind die Fallzahlen hingegen in Bulgarien, Polen und im Baltikum. In der Türkei setzte sich 2021 der Anstieg der Insolvenzzahlen fort (plus 7,7 Prozent), sodass hier rund 17.200 Unternehmensinsolvenzen zu verzeichnen waren.
Ein Blick in die Bilanzen ist wichtig & verrät viel
Die Jahresabschlüsse der Unternehmen in Westeuropa zeigen bereits erste negative Auswirkungen der Corona-Krise. Im ersten Jahr 2020 nahm der Anteil der Unternehmen mit negativen Gewinnmargen, die Verluste erwirtschaftet hatten, von 21,9 auf 26,7 Prozent deutlich zu. Gleichzeitig verzeichneten aber auch mehr Unternehmen eine sehr hohe Gewinnmarge (2020: 18,0 Prozent; 2019: 17,4 Prozent). »Wer sein Geschäftsmodell in der Krise angepasst hat und das schöpferische Potenzial des Strukturwandels nutzen konnte, hat auch mehr Gewinne realisieren können«, betont Hantzsch. Insgesamt sieht er aber europaweit ein gestiegenes Insolvenzpotenzial. Auch die Eigenkapitalquoten haben unter der Krise gelitten. 22,6 Prozent der betrachteten Unternehmen in Westeuropa sind als eigenkapitalschwach anzusehen (Eigenkapitalquote unter 10 Prozent). Im Vorkrisenjahr lag dieser Anteil bei 21,9 Prozent – er hat sich also zuletzt leicht erhöht. Weiterhin verfügen aber viele Unternehmen (46,2 Prozent) über eine hohe Eigenkapitalquote von über 50 Prozent. »Durch die gute Wirtschaftslage im Vorfeld der Corona-Pandemie waren die Eigenkapitalquoten gestiegen und die Schwere der Krise wurde durch stabile Unternehmen abgefedert«, so Hantzsch weiter. Allerdings seien die Puffer nach zwei Jahren Konjunkturschwäche mittlerweile oft aufgebraucht. Bedenklich sind auch die gestiegenen Forderungslaufzeiten in zahlreichen Ländern. Lieferanten und Leistungserbringer mussten länger warten, bis Rechnungen bezahlt wurden. Das macht sie selbst angreifbarer für Liquiditätsengpässe. (Quelle: Zum Teil Pressemitteilung Creditreform)
Einordnung
Kurz: Wer in der Krise reagiert hat und sich flexibel zeigte, dem geht es gut. Viele haben die Potenziale/Chancen nicht gehoben und schauen nun in die Röhre. Ob tatsächlich eine messbare Anzahl an Zombie-Unternehmen gezüchtet worden ist, darf sicherlich vermutet werden, ist aber nicht durch Zahlenwerke (Bilanzen) festzustellen.
Im Hinblick auf die direkt an die Pandemie anschließenden Ereignisse, Inflation, Krieg und Lieferketten-Herausforderungen bleibt abzuwarten, ob da nicht noch ein ›dickes Ende‹ kommt. Wichtig ist es, gerade jetzt auf Signale zu achten und vor allem zu agieren.
Tipp: Deckt euch mit Liquidität ein, auch dann, wenn ihr sie noch nicht benötigt. Haltet Liquidität ausreichend vor. Und überdenkt Investitionen. Geht sogar so weit, eueren Business Case in Frage zu stellen!