Die Verfassungsbeschwerde der luxemburgischen Amazon Services Europe S.à.r.l. gegen den vielbeachteten Beschluss des Landgerichts Hannover vom 22. Juli 2021 (Az. 25 O 221/21) wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit hatte keinen Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Zum Hintergrund: Oppenhoff hatte für mi.to. pharm beim LG Hannover eine einstweilige Verfügung gegen Amazon wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erwirkt, die antragsgemäß und ohne vorherige mündliche Verhandlung erlassen wurde. Amazon hatte das Verkäuferkonto von mi.to. pharm unter pauschalem Hinweis auf einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen gesperrt. Eine weitere Begründung erfolgte nicht.
Das LG Hannover wertete das Verhalten von Amazon als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Daraufhin legte Amazon Verfassungsbeschwerde ein: Man sah sich in dem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzt, da das Landgericht nach Darstellung von Amazon ein einseitiges ›Geheimverfahren‹ durchgeführt und kein rechtliches Gehör gewährt habe.
Das Bundesverfassungsgericht ist dem nicht gefolgt, insbesondere weil Amazon seinerzeit keinen Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt hatte. Außerdem sei laut Bundesverfassungsgericht nicht ersichtlich, dass das Landgericht Hannover zukünftig das Recht von Amazon auf prozessuale Waffengleichheit generell missachten würde.
Dr. Simon Spangler, Co-Head der Kartellrechtspraxis bei Oppenhoff: »Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat weitreichende Bedeutung für die private Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht in Deutschland: Fachgerichte haben in Eilverfahren ausdrücklich die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung zu erlassen. Ein Automatismus, wonach die Antragsgegnerin – im vorliegenden Fall Amazon – in jedem Fall vor Erlass der einstweiligen Verfügung angehört werden müsste, besteht jedenfalls für das Kartellrecht nicht.«
Mi.to. pharm wurde im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht von Dr. Simon Spangler (Kartellrecht, Federführung) vertreten. Im Verfahren vor dem LG Hannover umfasste das Oppenhoff-Team außerdem Dr. Fee Mäder und Anika Hellmann (beide Gewerblicher Rechtsschutz). (Quelle: Pressemitteilung)
Einordnung
Medial wurde es sehr gepusht, dass Amazon Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte. Das war unnötiger Populismus nicht rechtskundiger Journalisten. Im Grunde ist hier etwas passiert, was jedem ›Gegner‹ passieren kann und selbst dem Verfasser dieses Beitrags (also mir) schon passiert ist: Ihr erhaltet eine Einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung. Das können Gerichte machen. Es ist selten, aber das LG Koblenz hatte seiner Zeit (in meiner Sache) so entschieden. Damit ist euch nicht ausreichend Gehör gegeben worden. Dazu gibt es bereits eine höchstrichterliche Entscheidung. Deshalb schreiben die Gerichte mittlerweile den Gegner auch an, bevor sie eine EV erlassen. Meistens jedenfalls. Hier hat das LG Hannover es offensichtlich unterlassen, sodass Amazon eine Gehörsrüge vorgebracht hat. In Folge dieser ist das Unternehmen dann vor das BVerG gegangen. Anmerkung: Das hätte der Verfasser auch gemacht, aber das LG hat eingelenkt und das Verfahren ist am Ende gewonnen worden.
Fazit: Lasst euch medial also nicht immer an der Nase rumführen. In der Sache selbst: Es ist unglaublich, dass Amazon unterlegen ist. Nach Wortfilter vorliegenden Rechercheergebnissen hat der Seller sehr eindeutig gegen die ToS verstoßen. Ob die Kanzlei, welche Amazon vertritt, eine gute Wahl ist?