Onlinehandel Deutschland 2025: E-Commerce wächst – aber kommt das Plus wirklich bei den kleinen Händlern an?
Zwar klingen die Zahlen verhalten erfreulich – aber der große Wurf ist das nicht. Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat kürzlich seine Umsatzprognose für den Onlinehandel 2025 nach oben korrigiert: Statt stagnierender Umsätze soll es ein Plus von vier Prozent geben, insgesamt also ein Marktvolumen von 92,4 Milliarden Euro. Das klingt nach Rückenwind für den E-Commerce. Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich die Frage: Wie viel von diesem Wachstum kommt tatsächlich bei den kleinen und mittleren Onlinehändlern an?
Denn wer sich in den einschlägigen Händler-Communities umhört oder mit steuerberatenden E-Commerce-Experten spricht, hört oft ganz andere Töne: Rückgänge bei den Umsätzen, steigender Kostendruck, schwindende Marge. Die große Plattform-Dynamik scheint viele Händler eher zu überrollen als zu tragen.
Onlinehandel Deutschland 2025: HDE meldet Aufschwung – vor allem durch Lebensmittel, Drogerie und Marktplätze
Laut HDE-Online-Monitor 2025 ist der Onlinehandel „nach einigen schwächeren Jahren wieder die klare Wachstums-Lokomotive des Einzelhandels“. Besonders stark wachsen demnach die Segmente Lebensmittel und Drogeriewaren – mit über acht bzw. neun Prozent Zuwachs beim Onlineanteil allein in den letzten drei Jahren.
Zugleich wächst die Bedeutung der großen Marktplätze weiter: 57 % des Online-Umsatzes in Deutschland laufen laut HDE bereits über Marktplatzformate. Der Rest verteilt sich auf klassische Onlineshops, Multichannel-Händler und spezialisierte Plattformen.
Was auf den ersten Blick nach florierendem Handel aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen allerdings als extreme Konzentration der Umsätze auf einige wenige Akteure. Denn neben Amazon und eBay mischen zunehmend Plattformen wie Temu und Shein den Markt auf – mit hoher Reichweite, aggressiver Preissetzung und schlanken Strukturen.
Temu & Co: Umsatzraketen aus Fernost
Ein zentraler Punkt im HDE-Bericht: Rund 10 % des Onlinevolumens in Deutschland entfällt mittlerweile auf ausländische Anbieter – insgesamt rund 8,9 Milliarden Euro im Jahr 2024. Davon entfallen alleine auf Temu und Shein schätzungsweise zwischen 2,7 und 3,3 Milliarden Euro.
Das ist nicht nur eine Frage des Marktes, sondern auch eine der Fairness. Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des HDE, formuliert es so:
„Wer hierzulande Waren anbietet, muss sich an alle unsere Regeln halten. Die aktuellen Zustände gefährden heimische Handelsunternehmen und die Sicherheit der Verbraucher.“
Mit anderen Worten: Während deutsche Händler mit Verpackungsverordnung, Produktsicherheitsvorgaben, Umsatzsteuerpflichten und Abmahngefahr jonglieren, verkaufen Plattformanbieter aus Fernost oft unter dem Radar – und mit deutlich weniger regulatorischem Aufwand.
Stimmen aus der Praxis: Viele kleine Händler berichten von Umsatzrückgängen
Abseits der offiziellen Zahlen liest und hört man in Foren, Gruppen und Gesprächen ein ganz anderes Bild. Viele kleine bis mittlere Onlinehändler berichten von einem deutlichen Rückgang im Geschäft – besonders im Non-Food-Bereich.
- Bestellungen stagnieren oder gehen zurück
- Retourenquoten steigen
- Kosten für Marketing und Logistik explodieren
- Conversion Rates sinken trotz höherer Werbebudgets
Steuerberater, die auf Onlinehandel spezialisiert sind, schlagen in dieselbe Kerbe: Bei vielen Mandanten seien die Zahlen seit Mitte 2023 rückläufig – teilweise zweistellig. Vor allem Händler, die stark von Marktplätzen wie Amazon abhängig sind, spüren zunehmend Preisdruck und Margenverfall.
Kanalvielfalt? Theorie ja, Praxis schwierig
Ein weiterer Punkt, der auffällt: Viele Händler tun sich schwer mit der notwendigen Anpassung ihrer Geschäftsmodelle. Zwar wird überall gepredigt, wie wichtig Multichannel, Social Commerce und internationale Skalierung seien – aber in der Praxis mangelt es oft an:
- Ressourcen (Zeit, Geld, Know-how)
- technischer Infrastruktur
- Zugängen zu attraktiven Zielgruppen
- Verlässlichen Partnern
Besonders Plattformhändler mit Fokus auf Amazon berichten, dass der Absprung auf andere Kanäle zwar gewünscht ist – aber schwer umsetzbar, weil Kundenbindung, Sichtbarkeit und technischer Support fehlen.
Die vermeintliche Unabhängigkeit durch „eigene Kanäle“ bleibt oft Wunschdenken.
Wachstum auf dem Papier – Realität bleibt fragmentiert
Die HDE-Zahlen zeigen eindeutig: Der Markt wächst. Aber die Verteilung des Wachstums ist extrem unausgewogen. Wachstumstreiber sind primär:
- Große Plattformanbieter mit aggressiven Geschäftsmodellen
- Branchen mit strukturellem Digitalisierungsschub wie Food und Drogerie
- Ausländische Anbieter, die regulatorische Schlupflöcher nutzen
Für den klassischen, mittelgroßen Onlinehändler mit eigenem Shop, Amazon & eBay-Anbindung und überschaubarem Sortiment bleibt die Lage angespannt.
Politik in der Pflicht: Wettbewerbsbedingungen angleichen
Der HDE fordert deshalb klare politische Maßnahmen – auf nationaler und europäischer Ebene. Die Devise: Wettbewerb ja – aber mit gleichen Regeln für alle. Das umfasst u. a.:
- Zollfreigrenzen abschaffen
- Produktsicherheitsvorgaben durchsetzen
- Steuerpflichten einheitlich kontrollieren
- Plattformhaftung ausbauen
Denn solange Anbieter aus Fernost zu anderen Bedingungen agieren dürfen, bleibt der Wettbewerb verzerrt – auf Kosten derer, die sich an alle Regeln halten.
Was du jetzt als Händler tun kannst
Trotz allem: Es gibt Hebel, die du nutzen kannst. Auch wenn das Umfeld rauer wird.
✅ Analysiere deine Marge und dein Sortiment – und verabschiede dich notfalls von Low-Performer-Produkten
✅ Diversifiziere deinen Vertrieb – Marktplätze, eigener Shop, Social, B2B
✅ Investiere in Kundenbindung statt nur in Neukunden
✅ Optimiere Prozesse: Von Retouren bis Lager – Effizienz spart Marge
✅ Halte dich über Regulierungen auf dem Laufenden – und prüfe Förderprogramme
Und vor allem: Vernetze dich. Tausche dich mit anderen aus, beobachte Marktdynamiken und hole dir Impulse – zum Beispiel über Wortfilter, Händlergruppen oder relevante Fach-Webinare.
Fazit: Zwischen Hoffnung und harter Realität
Der Onlinehandel wächst – keine Frage. Doch das Wachstum verteilt sich ungleich. Während Plattformen wie Temu Milliarden bewegen und Drogerie-Logistiker skalieren, kämpfen viele Händler um den Erhalt ihrer Rentabilität.
Die Politik ist gefragt, um faire Rahmenbedingungen zu schaffen. Doch ebenso gefragt bist du als Händler selbst: Wer jetzt nicht nachjustiert, bleibt zurück. Wer sich auf seine Stärken konzentriert, Prozesse verbessert und den Markt im Blick behält, kann auch unter Druck erfolgreich bleiben.