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Drachenlord: Cybermobbing auch im E-Commerce möglich?

Der Fall Drachenlord ist tragisch und zeigt auf so viele Arten auf, dass wir als Gesellschaft manchmal versagen. Das stimmt traurig und nachdenklich. Der Umstand, dass der Protagonist nicht gerade das hellste Licht auf der Torte ist, bedeutet nicht, dass ihm mehr Schuld zuzusprechen ist, sondern eher, dass wir als Gesellschaft einen besseren Schutz leisten müssen. Aber wie sieht es denn aus, wenn sich solche Hasstiraden gegen Unternehmen richten? Einigen mag direkt die Plattform mydealz einfallen, die nicht selten als Geburtsstätte so einiger krimineller Shitstorms gegolten hat.

Was passiert, wenn?

Bisher kennen wir nur wenige solcher Cybermobbing-Attacken gegen Unternehmen. Zum Glück. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht stattgefunden haben. Vielleicht sind sie nur nicht so viral gegangen. Die meisten Shitstorms – eine andere Art des Cybermobbings – ist in vielen Fällen am Ende glimpflich ausgegangen. Aber das ist kein Garant für die Zukunft. Im Gegenteil.

Wenn euch als Unternehmen oder Unternehmer eine solche Attacke erwischt, dann seid ihr als Kleinstunternehmen lost. Bis hin zur Existenzzerstörung sind alle Folgen denkbar. Während ihr als Unternehmer (hoffentlich) ein dickes Fell habt, mag das bei euren Angestellten nicht der Fall sein. Psychische Schäden sind nicht ausgeschlossen. Wir erinnern uns an den Fall mydealz-Community vs. OMR.

Was könnt ihr unternehmen?

In der Dimension, wie sich das Cybermobbing im Fall Drachenlord ausgeprägt hat, gibt es keine weiteren Beispiele. Zum Glück. Aber das hat nicht zu bedeuten, dass sich nicht so manche Communitys dazu berufen fühlen, ein Game gegen ein Business zu starten.

  • Passiert euch das, dann habt ein paar Handlungsanweisungen in der Schublade:
  • Es richtet sich meistens nichts gegen euch persönlich
  • Bucht sofort eine Krisen-Kommunikations-Agentur
  • Sucht euch einen Rechtsanwalt, der auf Äusserungsrecht spezialisiert ist
  • Unternehmt nichts, ohne euch zu beraten
  • Kümmert euch um eure Mitarbeitenden, fangt sie auf & supportet sie
  • Nutzt auch Kommunikationshilfen für die innerbetriebliche Kommunikation
  • Diskutiert mit euren Beratern, ob auch eure Mitarbeiter mit in die Kommunikation einbezogen werden müssen

Versucht aus einer reaktiven Situation herauszukommen. Dabei hilft euch auch, rechtzeitig zu erkennen, wann es Sinn macht, fremde Hilfe zu suchen und holen. Im Grunde sollte jeder von euch, der bei sich und seinem Unternehmen ein Betroffenheitsrisiko bewertet, bereits eine Agentur in der Schublade haben.

Das Risiko ist da

Nur sehen wir es nicht und(oder wollen es auch nicht. OMR war ein Beispiel, aber es gibt noch zig andere. Erinnert ihr euch noch an den Blackhat-Angriff auf einen Händler, der über 400k US$ verloren hat? Aus dem vergangenen Frühling ist dem Autor ein Fall bekannt, indem ein Unternehmen auf Amazon täglich über 1 Million Umsatz verlor, weil es angegriffen worden ist. Unterschätzt nicht das Risiko.

Im E-Commerce heißt Cybermobbing auch Shitstorm und Blackhat! Leider sind die Verteidigungsmöglichkeiten sehr schwach. Die Plattformen reagieren langsam, und gegenüber der Geschwindigkeit der Strafverfolgungsbehörden ist eine Schnecke ein Olympionike. Diese Lücken gehören zum Schutz der Unternehmer geschlossen.

Amazon: Blackhat Angriff auf deutschen Seller & Hausdurchsuchung

Dass das Leben auf dem Amazon Marketplace kein Ponyhof ist, ist bekannt. Dass die Methoden, mit denen die Marketplace-Händler um Klicks, Kunden und Conversion kämpfen, immer wieder die Grenze zur Illegalität überschreiten, auch. Und trotzdem fällt der Amazon-Krimi, den der Rechtsanwalt Stefan Vieten über den Fall von zweien seiner Mandanten zu berichten hat, aus dem Rahmen. Es geht um Urkundenfälschung, Amtsanmassung und Betrug.

Der Rechtsanwalt Stefan Vieten aus Mönchengladbach vertritt zwei Amazon-Händler, die gemeinsam auf Amazon.de Medizinprodukte wie Schwangerschafts- und Ovulationstests verkaufen. Ein hart umkämpftes Segment, in dem viele Anbieter um die begehrte Buybox kämpfen – offenbar mit allen Mitteln. Ein Konkurrent treibt es besonders hart: Seit 2017 überzieht er die beiden Händler mit Abmahnungen. Die beiden wehren sich so gut es geht, auch mit anwaltlicher Unterstützung, und schießen schließlich zurück: Kurz nachdem sie ihrem Konkurrenten bei Amazon wegen mutmaßlichen Rezensionsbetrugs gemeldet hatten, wird sein Account gesperrt.

„Und kurz darauf wurde es mysteriös“, berichtet ihr Anwalt. „Plötzlich und ohne Angabe von Gründen sperrte Amazon im Mai 2018 die wichtigsten Bestseller meiner Mandanten, was zu massiven Umsatzeinbrüchen im hohen fünfstelligen Bereich führte.“ Vieten schrieb die Rechtsabteilung von Amazon an, und erfuhr schließlich, nach vielen mühsamen Briefwechseln, den Grund für die Sperre: Amazon habe mehrere Schreiben vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn bekommen, laut dem die Produkte der Seller nicht zugelassen seien.

(Die Schreiben liegen uns vor)

Das Institut ist eine selbstständige Bundesbehörde, die für die Arzneisicherheit in Deutschland zuständig ist. In Bezug auf Medizinprodukte soll sie mögliche Risiken erfassen und überwachen. In dem offenbar hochoffiziellen Schreiben (garniert mit dem Bundesadler), das Wortfilter vorliegt, heißt es in verquastem Beamtendeutsch:

„Basierend auf aktueller deutscher Rechtslage […] müssen medizinische Produkte dieser Art obligatorisch eine fachgerechte Kennzeichnung vorweisen können. Die folgenden Produkte erfüllen die aufgelisteten Anforderungen aufgrund unter anderem fehlender Kennzeichnung sowie einer Zertifikatsfälschung nicht.”

Es folgt eine Auflistung aller Bestseller-ASINs von Vietens Mandanten. „Das war natürlich völliger Blödsinn“, so der Anwalt erbost. Ein Anruf bei der Bundesbehörde ergab des Rätsels Lösung: „Das Bundesinstitut hat uns klipp und klar gesagt, dass dieses Schreiben nicht aus ihrem Haus kommt – und sofort Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Urkundenfälschung und Amtsanmassung gestellt.“

Wie im Krimi: Erst die Hausdurchsuchung, dann das Geständnis

Vieten wiederum hat längst einen Verdacht, wer hinter dem gefälschten Behördenschreiben steckt – und stellt einen Unterschriftenvergleich zwischen den Dutzenden Abmahnungen gegen seine Mandanten und der gekritzelten Unterschrift auf dem angeblichen Behördenbrief an. „Im Ergebnis hat sich dann die Staatsanwaltschaft meinem Verdacht angeschlossen und das Haus des Konkurrenten meiner Mandanten durchsuchen lassen“, so der Anwalt. Der Konkurrent, mittlerweile bereits wegen eines Betrugsfalls polizeibekannt, gestand die Fälschung während der Hausdurchsuchung ein – und ist damit ein Fall für die Strafverfolgung.

Wenn Vietens Mandaten geglaubt hatten, dass die Sache damit ausgestanden sei, hatten sie sich allerdings getäuscht: Obwohl seit Mitte letzten Jahres ein Strafverfahren gegen ihn läuft, führte der Konkurrent weiter zivilrechtliche Verfahren gegen die beiden Amazon-Seller (die allerdings allesamt abschlägig beschieden wurden) – und verkauft seine Produkte auf Amazon weiterhin, unter einem neuen Seller-Account auf den Namen eines Familienangehörigen. „Wir haben Amazon mehrfach daraufhin gewiesen, dass es sich hier um den gleichen Seller handeln muss“, so Vieten. „Er verkauft die gleichen Produkte wie zuvor, die Adresse im Impressum ist die gleiche, sogar der Nachname des Verkäufers ist gleichgeblieben. Wir haben Amazon mehrfach gesagt: Ihr arbeitet da mit einem mutmaßlichen Straftäter zusammen, gegen den ein Verfahren läuft – aber der Ersatz-Account bleibt weiter aktiv.“

Schwere Vorwürfe gegen Amazon

Vieten beklagt in dem gesamten Fall vor allem den spröden Umgang mit den zuständigen Amazon-Stellen. „Man spricht mit Amazon wie mit einem Roboter“, kritisiert der Anwalt. „Man kann nur immer wieder an die gleiche Amazon Legal-Adresse schreiben, und dabei muss man jedes Mal den gesamten Sachverhalt erklären, weil es keine Aktenzeichen gibt. Und dann bekommt man Antworten von immer wechselnden, stets anonymen Sachbearbeitern. Es gibt keine Möglichkeiten, um ein Problem an eine höhere Entscheidungsstelle zu eskalieren, oder eine Lösung zu beschleunigen. Und während man sich an dieser Bürokratiemühle aufarbeitet, häufen sich die Tagesverluste bei Sperrungen immer höher an.“

Der Rechtsanwalt ist mit seinen Klagen nicht allein; in der Branche wird der Ruf nach besseren Kommunikationsmöglichkeiten mit Amazon oder auch nach ordentlichen Prozessen für die Streitschlichtung zwischen Amazon-Händlern immer lauter. Der Marktplatz selbst äußert sich zu solchen Forderungen nicht. Auf unsere Anfrage nach einer fehlenden Ombudsstelle macht sich Amazon einen schlanken Fuß:

„Jeden Tag arbeiten wir intensiv daran, das Vertrauen unserer Kunden und Verkaufspartner zu gewinnen und zu erhalten. Akteure mit schlechten Absichten, die versuchen, dieses Vertrauen zu zerstören und unsere Systeme zu missbrauchen, machen nur einen geringen Teil der Aktivitäten auf unserer Website aus. Wir verwenden hochentwickelte Programme unterstützt von maschinellem Lernen, um sie zu bekämpfen, und wir machen es immer schwieriger für sie, sich zu tarnen. Wir sperren solche Akteure für unsere Website, und wir arbeiten mit redlichen Verkaufspartnern und Strafverfolgungsbehörden zusammen, um sie durch die Einbehaltung von Geldern und die Verfolgung von zivil- und strafrechtlichen Sanktionen zur Verantwortung zu ziehen. Es zeigt sich eine eklatante Missachtung unserer Richtlinien und in einigen Fällen auch des Gesetzes. Und das spiegelt nicht die erfolgreiche Gemeinschaft ehrlicher Unternehmer wider, die die große Mehrheit unserer Verkaufspartner stellen.“

Was aber passiert, wenn die erwähnten „hochentwickelten Programme unterstützt von maschinellem Lernen“ bei der Erkennung von „schlechten Absichten“ offenkundig versagen, und wie unbescholtene Amazon-Händler in solchen Fällen zu ihrem Recht kommen, dazu schweigt sich der Marktplatz aus.

Kartellamt sieht keine Zuständigkeit

Auch vom Bundeskartellamt dürfen Amazon-Händler in solchen Fällen aktuell keine Hilfe erwarten. „Mit unserem Verfahren gegen Amazon haben wir grundlegende Verbesserungen für die Händler erwirkt. Amazon hat aufgrund unseres Verfahrens seine Geschäftsbedingungen weltweit auf allen seinen Marktplätzen zugunsten der Händler geändert“, so ein Sprecher der Behörde auf unsere Anfrage. „Natürlich erreichen uns dennoch viele Beschwerden, was aber angesichts von über 300.000 Händlern auf dem Marketplace auch nicht verwundert. Soweit wir begründete Vorwürfe gegen Amazon sehen, nehmen wir auch Kontakt zu Amazon auf und diese Fälle werden geklärt oder den Beschwerden abgeholfen. Die Bewertung von Vorgängen, bei denen sich ein konkurrierender Händler über einen anderen beschwert, ist sehr schwierig. Eigentlich müsste hier zunächst eine zivilrechtliche Klärung erfolgen.“

Fazit

Nicht häufig werden solche ‚Krimis‘ öffentlich gemacht. Zwar ist viel zu hören und es wird viel erzählt, jedoch trauen sich die Beteiligten leider zu wenig uns Medien die Erlaubnis zu geben darüber zu berichten. Das ist schade, denn nur wenn solche Fälle öffentlich werden kann sich ein Verständnis für die Gefahren und die Missstände auf dem Amazon Marketplace zu handeln entwickeln. Das ist wichtig um Gehör bei Behörden und Politik zu bekommen.

Dieser, wie so viele andere Fälle aber auch, zeigen wie sehr Händler in Abhängigkeit zu Amazon stehen. Und es wird offensichtlich, dass es eine unabhängige Stelle geben muss, z.B. einen Ombudsmann, der diese Eskalationen verhindert. Algorithmen können viel, jedoch nicht solche individuellen Fälle lösen.

Daher eine dringende Bitte an euch: Wendet euch an die Medien, wendet euch an uns und macht eure Cases – gerne anonym – öffentlich!