Wandern, Warten, Wahnsinn: Wie ein harmloser Jumpsuit-Kauf zum Lehrstück für EU-Verbraucherrechte wurde
Ein Gastbeitrag von Spatzl
Einleitung
Dropshipping, dubiose Händlerkonstrukte, Plattformshopping mit internationalen Firmengeflechten — viele Wortfilter-Leser kennen die Problematik aus eigener Erfahrung oder aus der täglichen Berichterstattung.
Dieser Gastbeitrag schildert eine wahre Geschichte aus Verbrauchersicht.
Ein einziger Online-Kauf zeigt, wie leicht sich Verbraucher im Netz in komplexe Konstrukte zwischen Drittstaaten, Briefkastenfirmen und Verbraucherrecht verstricken — und warum es wichtig ist, seine Rechte zu kennen.
Der Ausgangspunkt: Ein harmloser Klick
Wir leben im schönen Rheinland-Pfalz. Für einen anstehenden Ausflug wollte ich mir einfach mal einen schicken Jumpsuit gönnen. Praktisch, bequem und alltagstauglich.
Schnell war ein Angebot auf der Seite charliechloe.com gefunden.
Die Seite wirkte auf den ersten Blick völlig seriös:
- deutschsprachig
- modernes Layout
- vollständiges Impressum
- zahlreiche Produktfotos
- Zahlungsabwicklung problemlos
Ich bestellte.
Der erste kleine Hinweis auf eine besondere Konstruktion kam mit der Lieferung:
Versand aus Hongkong.
Die ersten Zweifel
Der gelieferte Jumpsuit war leider enttäuschend: Passform, Qualität und Material entsprachen nicht den Erwartungen.
Doch ich war entspannt:
Widerrufsrecht nach EU-Recht: 14 Tage Widerrufsfrist ohne Angabe von Gründen.
Also meldete ich den Widerruf beim Händler an.
Die Reaktion des Händlers: Das klassische Dropshipping-Spiel beginnt
Der Händler antwortete freundlich, aber sofort mit typischen Angeboten:
“Schade, dass Ihnen das Produkt nicht gefällt.
Wir bieten Ihnen gerne einen Austausch gegen ein anderes Produkt an – Sie zahlen nur 19,90 € Versandkosten.”
Nach Ablehnung folgte der nächste Versuch:
“Alternativ bieten wir Ihnen eine 20% Teilrückerstattung an. Sie dürfen den Artikel dann behalten.”
Auch das lehnte ich ab und verwies erneut auf mein Widerrufsrecht.
Die Spur führt nach Hongkong und Tschechien
Erst bei genauerer Betrachtung der Zahlung bemerkte ich:
Der Kaufpreis ging nicht an einen europäischen Händler, sondern an:
RVNM Trade Limited (Business Registration Number: 78029224), Hongkong
Das Paket selbst kam ebenfalls aus Hongkong.
Gleichzeitig enthielt das Impressum der Webseite folgende europäische Adresse:
SKO Ecom s.r.o.
Stromského 1338/9
716 00 Ostrava
Tschechien
Wahrscheinliches Konstrukt:
- RVNM Trade Limited als operativer Händler (vermutlich der tatsächliche Verkäufer)
- SKO Ecom s.r.o. möglicherweise Briefkastenfirma, Impressumsadresse zur Erfüllung europäischer Informationspflichten
- Versandlogistik vollständig aus Hongkong
Ob die tschechische Firma tatsächlich operativ tätig ist oder nur zur Erfüllung formaler EU-Pflichten dient, bleibt unklar.
Die Rücksendeadresse bleibt unklar
Auf wiederholte Nachfrage nach einer konkreten Rücksendeadresse antwortete der Händler mehrfach ausweichend — stets mit allgemeinen Rückgabehinweisen, aber ohne verbindliche Adresse.
Ich entschied mich daher, die Rücksendeadresse aus dem Impressum zu verwenden.
Rücksendung auf eigene Kosten
Das Paket ging per DHL an die Adresse in Ostrava (CZ), Sendungsnummer:
CY221098270DE
Damit beginnt die gesetzliche Rückerstattungsfrist:
14 Tage nach Eingang der Ware.
Aktuell (Stand: Juni 2025) läuft diese Frist.
Lehren aus dem Fall
Für Verbraucher:
- EU-Recht gilt grundsätzlich auch dann, wenn Drittstaaten eingebunden sind.
- Briefkastenlösungen in der EU ändern nichts an den Verbraucherrechten.
- Händler müssen klar kommunizieren und Rücksendeadressen nennen.
- Rücksendung immer per Tracking.
Für Händler:
- Wer an EU-Verbraucher verkauft, muss EU-Recht korrekt anwenden.
- Konstruktionen mit Drittstaaten und Strohfirmen entbinden nicht von Pflichten.
- Täuschung durch EU-Impressen bei faktischem Drittstaatenhandel kann wettbewerbsrechtlich problematisch sein.
Fazit
Der Fall zeigt exemplarisch, wie Online-Handel im Jahr 2025 oft funktioniert:
Globalisierte Lieferketten, rechtlich komplexe Konstrukte — und leider immer wieder Versuche, Verbraucherrechte systematisch zu umgehen oder zumindest hinauszuzögern.
Als Verbraucher sollte man seine Rechte kennen.
Als Händler sollte man diese Rechte respektieren.
Infokasten: 5 Tipps für den Umgang mit solchen Händlern
🧭 1️⃣ Impressum & Zahlungsfluss prüfen:
Lieferung und Zahlung aus Drittstaaten trotz EU-Impressum = immer kritisch prüfen.
🧭 2️⃣ Widerrufsrecht durchsetzen:
14 Tage Widerruf ohne Begründung. Keine Teilrückerstattungen akzeptieren.
🧭 3️⃣ Rücksendeadresse verlangen:
Bei fehlender Adresse darf das Impressum verwendet werden.
🧭 4️⃣ Rücksendung dokumentieren:
Immer mit Tracking und Sendungsbeleg.
🧭 5️⃣ Fristen beachten & reagieren:
Nach 14 Tagen Zahlungsanbieter, Verbraucherzentrale oder EU-Schlichtungsstelle einschalten.
Anmerkung:
Ob der Händler fristgerecht zurückerstattet, wird sich noch zeigen.
Vielleicht folgt demnächst “Wandern, Warten, Wahnsinn — Teil 2”.
Über die Autorin
Spatzl
Hobby-Wanderin, Rheinland-Pfalz
Freundin von Natur, Radtouren und gelegentlich unfreiwilligen Online-Abenteuern
Kontakt über den Herausgeber
ENDE
alternatives FAZIT
Nicht bei unbekannten, im Ausland sitzenden Versendern kaufen.
Sorry, aber selbst bei Haendlern im Inland kommt es haeufiger zu massiven Problemen, sobald ein Widerruf ansteht (Gesetzeslage hin oder her). Im Ausland kann man dann nur hoffen, mit Paypal oder Kreditkarte bezahlt zu haben, denn die Verfolgung eigener Interessen im Ausland (auch in der EU) ist mit grossem Aufwand verbunden – und kostspielig.
… mal ganz ehrlich. Das passiert selbst mir, weil ich einfach beim Kaufen vergesse ins Impressum zu schauen.