Bedauerlich, was sich so manches Institut leisten kann, ohne dass es massive Kritik aus der Branche erfährt. Schlimmer noch. Sogar führende und vor allem zahlenaffine Branchenvertreter nutzen die Ergebnisse, ohne sie auch nur einmal ansatzweise zu hinterfragen. Zahlen sind geil, aber das darf zu keiner Hörigkeit führen. Vor allem sollten Zahlenwerke einer Review standhalten. Im Falle des Top-100-Shop-Rankings des EHI Retail Instituts tun sie das nicht. Es sind Fake News!
Steigen wir direkt in die Zahlen ein: Auf Position 70 finden wir atp-autoteile.de mit einem Umsatz von 110,2 Mio €. Das ist falsch. Nur 20-30% des Gesamtumsatzes sind im Jahr 2019 über den eigenen Onlineshop gelaufen. (Quelle: Unternehmensangabe) Die verbleibenden Umsätze wurden über die Marktplätze generiert.
Der bereits 2019 insolvent gegangene und abgewickelte Onlineshop comtech.de ist auf Platz 60 mit immerhin 134,7 Millionen € geführt. Auch hier sind die Umsätze an den Haaren herbeigezogen. Das Unternehmen tätigte den kleinsten Teil ihres Geschäfts online, Umsatzbringer waren B2B-Geschäfte. (Quelle: Unternehmensveröffentlichungen, Angaben Insolvenzverwalter, mit der Situation vertraute Personen)
»Die EHI-Zahlen von Statista sind ein zweischneidiges Schwert. Aufgrund ihrer Datenqualität liefern sie letztlich nicht mehr als eine ganz grobe Orientierung. Ernsthafte Markteinschätzungen sind damit leider nicht möglich.
Bei Exciting Commerce nutzen wir deshalb nur gesicherte Daten aus erster Hand (Börsenberichte, Geschäftsberichte, etc.)«, so Jochen Krisch.
brands4friends.de wird auf Position 45 mit einem Nettoumsatz (nach Retouren) von 173,6 Millionen € geführt. Tatsächlich machte das Unternehmen eigenen Angaben nach im Rumpfgeschäftsjahr 2019 vom 1.1.2019 bis zum 31.07.2019 lediglich einen Umsatz von 68 Millionen €. (Quelle: Creditrefom).
rebuy.de: Hier stellt sich die Frage, wie ein Nettoumsatz überhaupt ermittelt werden soll, da aufgrund des Geschäftsmodells die Waren differnzbesteuert sind. Gleiches trifft auch für den Wettbewerber momox zu. Für rebuy wird nun ein Umsatz von 151,2 Millionen € angegeben. Das entspricht dem Gesamtumsatz des Unternehmens, was jedoch nicht der über die URL erwirtschaftete Umsatz ist.
Wie die Beispiele rebuy.de, momox.de und atp-autoteile.de zeigen, ist die Methodik höchst fragwürdig. Tatsächlich lassen sich die Onlineumsätze kaum auf den eigenen Shop eingrenzen.
Aber es werden auch schlicht Schwergewichte des Onlinehandels vergessen. Wo findet man z. B. die Berlin Brands Group (Chal-Tec). Diese erwirtschafteten in 2018 bereits 190 Millionen €. Oder Bandel Automobiltechnik mit einem Umsatz von 70 Millionen € in 2019.
Und da wäre noch die Firma Deuba GmbH & Co Kg. Diese vermeldete einen Nettoumsatz von 151 Millionen € für das Jahr 2018. Sie würde gleichfalls in die Top-100-Liste gehören.
Es stellt sich nun die Frage, was ein solches Ranking bei so vielen Fehlern wert ist. Besonders dann, wenn es sich auf eine wissenschaftliche Expertise beruft. Nichts, rein gar nichts. Noch nicht einmal als groben Anhaltspunkt lassen sich diese Zahlen verwenden. Die Selbstbeschreibung ›Das EHI ist ein wissenschaftliches Institut des Handels‹ klingt wie ein Hohn und ist eine Schande für die tatsächlich wissenschaftlich arbeitenden Marktforscher.
Es darf auch nicht an Kritik an den Medien gespart werden, die einen solchen Zahlenabfall ungeprüft und unreflektiert übernehmen. Gerade unsere Branchenmedien, wie die interworld, etailment oder t3n, sollten doch Willens und in der Lage sein, Zahlenwerke kritisch zu analysieren. Weit gefehlt!
Was könnte denn nun besser gemacht werden? Vor allem sollte einmal die Methodik angepasst werden. Es scheint nicht Erkenntnis bringend zu sein, nur die Umsätze der URL zu betrachten, sondern vielmehr alle Umsätze, die online generiert werden. Auch Verkaufserlöse über externe Plattformen sowie über die unterschiedlichen Onlineshops, die ein Unternehmen betreibt. Ein weiterer Mangel sind die unterschiedlichen Geschäftsjahre. So wird der IKEA-Umsatz eins zu eins als Erlös für das Jahr 2019 verwendet. Dieses ist falsch, denn tatsächlich endete das IKEA-Geschäftsjahr bereits am 31. August.
Das sind nur einige der Dinge, die dringend umgesetzt werden sollten. Tatsächlich sind die beobachteten ›Schnitzer‹ zu so unterschiedlichen Fehlerquellen zuzuordnen, als dass sich die Kritik ausschließlich auf die falsche Methodik reduzieren ließe.
soso, es wird kritisiert, dass atp den umsatz nicht hauptsächlich über den eigenen webshop macht, aber chal-tec, die ja nun den umsatz hauptsächlich per amazon oder ebay machen, sollen in der liste vorkommen…..!
Chal-tec, also BBG machen ausreichend Umsatz über den eigenen Shop als das sie tatsächlich in die Top 100 gehören, ja!
Doch keine “Fake-News” – so hübsch das in einer Blogüberschrift auch klingt:
Ich habe jetzt die Daten und Analysen von EHI und Statista einsehen können. Bei Comtech kannst Du Recht haben – hier ist die zur Verfügung stehende Originaldatenlage in der Tat eher dünn – wenn Du eine öffentliche Quelle gefunden hast, aus der die deutschen Shop-Umsätze hervorgehen, kannst Du Sie mir gerne mailen, ich gebe es dann gerne weiter zur Verbesserung
Ansonsten sind die von Dir genannten Ungereimtheiten für mich durchaus auflösbar (es werden Shops ausgewiesen – keine Unternehmens/Konzernumsätze – das erklärt Firmen, die vermisst werden; abweichende und asymetrische Geschäftsjahre, inkludierte Marktplatzumsätze; Onlineshop, die erst während/zu Ende des Betrachtungsjahres 2019 gestartet). Die EHI-/Statista-Zahlen haben für mich also durchaus Hand und Fuss – und sei es insoweit, dass wir die Top100- und die Top1000-Liste als korrelierbare Basis nehmen können für unsere Gesamtmarktbetrachtungen… Sonst kligel einfach wie immer durch.
-> Comtech: Da hilft es sich an den Inso.-Verwalter zu wenden
-> Nein, wie im Beispiel atp-autoteile werden keine Shops ausgewiesen. DAS IST FALSCH
-> Nein, auch werden Firmen mit asymmetrischen Geschäftsjahren betrachtet. Zwei Beispiele findet du im Artikel (-> brands4friends)
-> Wenn du oben schreibst es wird der Shop betrachtet, warum nun inkludierte Marktplatzumsätze? #fakenews
Warum gelingt es dir bzw. dem EHI nicht ganz konkret auf meine Beispiele einzugehen. Während ich mit belastbaren und überprüfbaren Zahlen/Daten um die Ecke gekommen bin, scheint dir/dem EHI dieses schwer zu fallen. Wieso?
Wie bei allen Rankings gibt es auch bei dem des EHI/Statista Fehler und Schwächen. “Fake” ist was völlig anderes und ich würde Dich auch dringend bitten, diesen Trump-Begriff nicht zu verwenden – auch wenn er eine wunderbare Klickbait-Überschrift ergibt.
Ich gebe ansonsten Deine Anregungen gerne weiter, um das Ranking aussagekräftiger zu machen.
Hallo Joachim,
also ich finde schon das es FAKE News sind. Als Fake News wird bei Wikipedia folgendes definiert:
Als Fake News (auch Fake-News oder Fakenews) werden manipulativ verbreitete, vorgetäuschte Nachrichten bezeichnet, die sich überwiegend im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken und anderen sozialen Medien, zum Teil viral verbreiten.
Herr Steier hat gut recherchiert und so viele Fehler entdeckt, dass es meiner Meinung nach sogar mehr als Fake ist. Es scheint so, dass hier bewusst falsche Zahlen verwendet und nur bestimmte Firmen gelistet wurden.
“Wie bei allen Rankings gibt es auch bei dem des EHI/Statista Fehler und Schwächen.”
Dann könnte ja jeder ein FAKE News veröffentlichen und behaupten, dass es ja nur Fehler und Schwächen sind und keine FAKE News.
Dann gebe es auch keine FAKE News mehr sondern nur noch Weaknesses and Mistakes News 😉