Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) regelt die Anforderungen an die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen, die ab dem 28. Juni 2025 auf dem deutschen Markt bereitgestellt werden. Aber: Nicht alle Unternehmen und Angebote sind davon betroffen. Hier ist eine Übersicht, für wen das BFSG nicht gilt:
❌ Ausnahmen: Wer nicht unter das BFSG fällt
1. Kleinstunternehmen im Dienstleistungsbereich
- Definition: Weniger als 10 Beschäftigte und weniger als 2 Mio. € Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme.
- Folge: Sie sind nicht verpflichtet, ihre Dienstleistungen barrierefrei anzubieten.
- ⚠️ Achtung: Diese Ausnahme gilt nur für Dienstleistungen, nicht für Produkte.
2. Bestandsprodukte (vor dem 28.06.2025 in Verkehr gebracht)
- Produkte, die vor dem 28. Juni 2025 auf dem Markt bereitgestellt wurden, unterliegen nicht rückwirkend dem Gesetz.
- Beispiel: Ein Kassensystem, das vor dem Stichtag verkauft wurde, muss nicht nachträglich barrierefrei gemacht werden.
3. Maßnahmen mit unverhältnismäßigem Aufwand
- Unternehmen können sich auf “unverhältnismäßige Belastung” (§ 14 BFSG) berufen.
- Das gilt z. B., wenn die Umsetzung der Anforderungen die wirtschaftliche Tragfähigkeit gefährdet.
- Einzelfallprüfung notwendig.
4. Spezielle Produkte und Dienstleistungen
- Nicht alle Produkte und Services sind betroffen. Das BFSG beschränkt sich auf eine EU-weit definierte Liste (nach dem European Accessibility Act).
- Beispiele für betroffene Produkte/Dienstleistungen:
- Geldautomaten
- Kassensysteme
- E-Books und E-Reader
- Telekommunikationsdienste
- Online-Shops
- Selbstbedienungsterminals (z. B. Ticketautomaten)
- Beispiele für nicht betroffene Bereiche:
- Handwerkliche Dienstleistungen vor Ort
- Offline-Einzelhandel kleiner Anbieter
- Medizinprodukte
🔍 Fazit
Das BFSG richtet sich nicht an alle Unternehmen gleichermaßen. Besonders kleine Dienstleistungsanbieter und Anbieter außerhalb der regulierten Produktliste sind ausgenommen. Trotzdem kann es strategisch sinnvoll sein, freiwillig barrierefrei zu agieren – insbesondere im Onlinehandel und bei digitalen Angeboten. Denn: Barrierefreiheit ist auch Kundenzugang.
Zusammenfassung: Ausnahmen vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG):
- Kleinstunternehmen (weniger als 10 Beschäftigte und Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz unter 2 Mio. €) – ausgenommen bei Dienstleistungen.
- Produkte und Services, bei denen Barrierefreiheit zu wirtschaftlich unverhältnismäßigem Aufwand führen würde – können ausgenommen werden (Nachweispflicht).
- Nicht-elektronische Inhalte wie gedruckte Bücher – nicht vom Gesetz betroffen.
- B2B-Produkte und -Dienste – wenn ausschließlich zwischen Unternehmen verwendet, gelten viele Anforderungen nicht.
- Bestandsprodukte – gelten als bestandsgeschützt, wenn sie vor dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht wurden.
Übersicht: BFSG-Pflichten für Produkte
Produktkategorie | Verantwortlich | Barrierefreiheitsanforderungen |
---|---|---|
Smartphones | Hersteller, Händler, Importeure* | Skalierbare Schrift, Sprachsteuerung, Kompatibilität mit Screenreadern |
Computer / Laptops / Tablets | Hersteller, Händler, Importeure* | Zugängliche Bedienung, einfache Navigation, unterstützende Technologien |
Fernsehgeräte mit Internetzugang | Hersteller, Händler, Importeure* | Untertitel, Sprachsteuerung, barrierefreie Fernbedienung |
E-Book-Reader | Hersteller, Händler, Importeure* | Text-to-Speech, einfache Navigation, anpassbare Darstellung |
Geldautomaten | Hersteller, Händler, Importeure* | Tastbedienung, Sprachausgabe, verständliche Menüführung |
Fahrkartenautomaten | Hersteller, Händler, Importeure* | Mehrsprachigkeit, taktile Hinweise, Sprachbedienung |
Check-in-Terminals | Hersteller, Händler, Importeure* | Barrierefreie Eingabe, visuelle und akustische Rückmeldungen |
Router / Modems | Hersteller, Händler, Importeure* | Webinterface barrierefrei, einfache Einrichtung, visuelle Rückmeldungen |
Selbstbedienungsterminals allgemein | Hersteller, Händler, Importeure* | Flexibilität für verschiedene Einschränkungen, intuitive Bedienung |
*Importeure und Händler: Dürfen nur konforme Produkte vertreiben und müssen prüfen, ob die Produkte BFSG-konform sind.
Beispiele für Ausnahmen beim BFSG – speziell für Onlinehändler
- Ein Onlinehändler verkauft nur Bekleidung über einen kleinen WooCommerce-Shop, hat keine Automaten oder digitale Geräte im Sortiment.
👉 Das BFSG gilt nicht, weil Modeartikel keine betroffenen Produkte sind. - Ein Onlinehändler verkauft Router und Modems, betreibt den Shop allein im Nebenerwerb mit einem Umsatz von unter 100.000 €.
👉 Das BFSG gilt trotzdem, weil bei Produkten keine Ausnahme für Kleinstunternehmen erlaubt ist. - Ein Händler betreibt einen kleinen Shop für digitale Lesegeräte und Apps, aber seine barrierefreie Umgestaltung der Bedienoberfläche wäre extrem teuer im Verhältnis zum Umsatz.
👉 Eine Ausnahme kann möglich sein, wenn der Händler genau nachweist, dass die Umsetzung wirtschaftlich unzumutbar ist. - Ein Händler vertreibt alte Lagerbestände an nicht-barrierefreien Tablets, die vor 2025 produziert wurden und im Markt bereits verfügbar waren.
👉 NICHT Verboten ab dem 28. Juni 2025, es gibt eine Altbestandsregelung. - Ein Händler bietet E-Book-Reader an, deren Software nicht mit Screenreadern funktioniert, weil der Hersteller es noch nicht umgesetzt hat.
👉 Der Händler darf sie nicht verkaufen, auch wenn er selbst nichts dafür kann. Händler haften für die Einhaltung der BFSG-Vorgaben. - Ein Online-Marktplatzhändler vertreibt nur über eBay oder Amazon Produkte, die andere liefern (Dropshipping).
👉 Auch er muss sicherstellen, dass die Produkte BFSG-konform sind – selbst wenn er keinen direkten Kontakt zum Hersteller hat.
✅ BFSG-Anforderungen an die Produktgestaltung
1. Bedienbarkeit
- Produkte müssen mit verschiedenen Eingabemethoden nutzbar sein: z. B. Tastatur, Touch, Sprache oder Assistenzgeräte (wie Screenreader, Braille-Zeile, Spezialmaus).
- Beispiel: Ein E-Book-Reader darf nicht nur per Touchscreen bedienbar sein – auch Tasten oder Sprachsteuerung sollten möglich sein.
2. Informationen müssen wahrnehmbar sein
- Alle Informationen auf dem Produkt oder Display müssen sichtbar, hörbar oder taktil erfassbar sein.
- Texte sollten vergrößerbar, kontrastreich und verständlich sein.
- Beispiel: Ein Fahrkartenautomat zeigt den Preis in großer Schrift an und sagt ihn optional auch per Sprachausgabe.
3. Verständlichkeit
- Inhalte und Funktionen müssen klar, nachvollziehbar und leicht verständlich sein – auch für Menschen mit kognitiven Einschränkungen.
- Symbole sollen einheitlich sein, Sprache möglichst einfach.
- Beispiel: Menüführung mit klaren Begriffen wie „Start“, „Weiter“, „Abbrechen“ statt technischer Fachsprache.
4. Kompatibilität mit Hilfsmitteln
- Produkte müssen mit assistiven Technologien kompatibel sein, etwa:
- Screenreader (z. B. NVDA, VoiceOver)
- Sprachausgabe-Software
- Alternative Eingabegeräte
- Beispiel: Eine Software auf einem E-Book-Reader liest Menüs und Inhalte korrekt über Screenreader aus.
5. Fehlertoleranz und Feedback
- Produkte sollen Rückmeldungen geben, z. B. akustische oder visuelle Signale bei Eingaben.
- Fehler müssen verständlich erklärt werden.
- Beispiel: Bei falscher PIN-Eingabe zeigt ein Gerät einen verständlichen Text („Falsche Eingabe – bitte erneut versuchen“) und nicht nur einen Code („Error 403“).
6. Dokumentation & Kennzeichnung
- Das Produkt muss mit einer Konformitätserklärung, einer CE-Kennzeichnung und technischen Unterlagen versehen sein, die belegen, dass es barrierefrei ist.
- Beispiel: Ein Händler muss eine technische Beschreibung vorlegen können, aus der die barrierefreien Funktionen hervorgehen.
📌 Zusammengefasst: Ein Produkt ist BFSG-konform, wenn es…
Kriterium | Umsetzung |
---|---|
Bedienbar | Verschiedene Eingabemethoden möglich |
Wahrnehmbar | Inhalte per Text, Audio oder taktil zugänglich |
Verständlich | Klare Sprache, intuitive Menüführung |
Hilfsmittel-kompatibel | Funktioniert mit Screenreadern & Co. |
Fehlertolerant | Gibt Rückmeldungen, hilft bei Bedienfehlern |
Dokumentiert & gekennzeichnet | CE-Zeichen + technische Unterlagen mit Nachweis der Konformität |
Damit ein Onlineshop dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) entspricht, muss er digital barrierefrei gestaltet sein – also so, dass Menschen mit Behinderungen den Shop ohne fremde Hilfe bedienen und verstehen können. Die Anforderungen orientieren sich an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1, Level AA.
✅ BFSG-Vorgaben für Onlineshops: Das muss konkret umgesetzt werden
1. Struktur und Navigation
- Die Seitenstruktur muss klar und logisch sein.
- Navigation per Tastatur muss vollständig möglich sein – ohne Maus.
- Es müssen Sprungmarken (z. B. „Zum Inhalt springen“) vorhanden sein.
- Beispiel: Nutzer können per Tabulator durch alle Menüpunkte und Buttons springen.
2. Texte und Inhalte
- Texte müssen verständlich sein, idealerweise in einfacher Sprache.
- Fachbegriffe sollten erklärt werden.
- Produktbeschreibungen dürfen nicht nur aus Bildern bestehen.
- Beispiel: „inkl. Li-Ionen-Akku“ wird ergänzt durch „ein Akku, der wiederaufladbar ist“.
3. Bilder und Medien
- Alle Bilder brauchen Alt-Texte (Bildbeschreibungen).
- Videos müssen Untertitel oder eine Textalternative haben.
- Beispiel: Produktbilder haben Alt-Texte wie „Seitenansicht des E-Book-Readers mit Tastensteuerung“.
4. Farbgestaltung und Kontraste
- Text und Hintergrund müssen einen hohen Kontrast haben.
- Farben dürfen nicht alleinige Informationsträger sein.
- Beispiel: Fehlermeldungen in Formularen nicht nur rot markieren, sondern mit Text wie „Pflichtfeld fehlt“.
5. Formulare und Checkout
- Formulare müssen barrierefrei beschriftet sein (z. B. mit „Label“-Elementen).
- Fehlermeldungen müssen verständlich und auffindbar sein.
- Nutzer müssen Bestellungen ohne visuelle Hinweise abschließen können.
- Beispiel: Der „Jetzt kaufen“-Button ist auch per Tastatur erreichbar und wird korrekt vorgelesen.
6. Kompatibilität mit Hilfsmitteln
- Die Seite muss mit Screenreadern, Vergrößerungssoftware und alternativen Eingabegeräten nutzbar sein.
- Beispiel: Ein blinder Nutzer kann mit einem Screenreader den gesamten Kaufprozess durchlaufen.
7. Technische Umsetzung
- Der Shop muss den Anforderungen der WCAG 2.1 AA genügen.
- HTML muss semantisch korrekt sein (z. B.
<button>
statt<div>
mit JavaScript). - Fehlerfreie ARIA-Rollen (z. B. für Navigation oder Dialoge).
- Beispiel: Der Shop verwendet echte Buttons mit Rollenbeschreibung, keine klickbaren Bilder ohne Funktionstext.
🔍 Checkliste für Shopbetreiber
Bereich | Anforderung | Umsetzungsbeispiel |
---|---|---|
Navigation | Tastatursteuerung, logische Struktur | „Zum Inhalt springen“-Link am Seitenanfang |
Inhalte | Einfache Sprache, keine Bild-only-Infos | Produkttext mit erklärtem Fachbegriff |
Bilder/Videos | Alt-Texte, Untertitel | Bildbeschreibung + Transkript fürs Video |
Farben/Kontrast | Hoher Kontrast, keine Farbcodes allein | Fehler rot + Text „Bitte Feld ausfüllen“ |
Formulare | Labels, verständliche Fehlermeldungen | „E-Mail fehlt“ statt „Fehler 502“ |
Hilfsmittel | Kompatibel mit Screenreadern usw. | JAWS liest „In den Warenkorb“-Button vor |
Technik | WCAG 2.1 AA, semantisches HTML, ARIA korrekt | <nav> , <main> , <button> richtig gesetzt |
❗ Wichtig
Ab dem 28. Juni 2025 müssen alle neuen oder wesentlich überarbeiteten Onlineshops, die barrierepflichtige Produkte oder Dienstleistungen anbieten (z. B. E-Books, Software, Telekommunikation), diese Anforderungen erfüllen. Bei Nichtbeachtung drohen Bußgelder und Vertriebsverbote.
Barrierefrei verkaufen: Was eBay und Amazon von ihren Händlern verlangen
Doch was verlangen die großen Plattformen konkret? Wir zeigen, was bei eBay und Amazon auf Händler zukommt.
eBay: Barrierefreiheit aktiv umsetzen
eBay verlangt von seinen Verkäufer:innen, dass sie sich auf die neuen gesetzlichen Anforderungen vorbereiten und ihre Angebote entsprechend gestalten. Konkret bedeutet das:
🔹 1. Erklärung zur Barrierefreiheit im Verkäuferkonto
Händler sollen in ihrem Verkäuferprofil eine Erklärung hinterlegen, wie sie die Anforderungen zur Barrierefreiheit umsetzen – z. B. in der Angebotsgestaltung oder im Kundenkontakt.
🔹 2. Strukturierte, barrierefreie Angebotsbeschreibungen
- Klare Sprache und kurze Sätze
- Absätze, Listen und Zwischenüberschriften
- Keine überflüssigen Emojis oder verspielten Formatierungen
- Bilder im Beschreibungstext mit Alt-Text versehen
🔹 3. Produktinformationen barrierefrei ergänzen
Wenn zum Produkt barrierefreie Informationen vorliegen (z. B. PDF mit Herstellerhinweisen), sollen diese dem Angebot beigefügt oder verlinkt werden.
🧠 Tipp: Die automatisch generierten Alt-Texte für Hauptbilder reichen oft nicht aus – Händler sollten bei eigenen Bildern gezielt Bildbeschreibungen ergänzen.
Amazon: Produkte prüfen und konform machen
Amazon fokussiert sich vor allem auf die betroffenen Produkte. Händler sind selbst dafür verantwortlich, dass alle angebotenen Artikel ab dem 28. Juni 2025 den Anforderungen des BFSG entsprechen.
🔸 1. Nicht-konforme Produkte entfernen
Produkte, die barrierepflichtig sind (z. B. E-Book-Reader, Router, Smartgeräte), dürfen ab dem Stichtag nur noch verkauft werden, wenn sie nachweislich barrierefrei sind. Andernfalls müssen sie deaktiviert oder entfernt werden.
🔸 2. Barrierefreiheit in Content und Bildern beachten
- Beschreibungstexte in klarer, verständlicher Sprache
- Bildbeschreibungen (Alt-Texte) möglichst vollständig ergänzen
- PDFs oder Zusatzinformationen zur Barrierefreiheit hochladen, wenn verfügbar
🔧 Amazon bereitet eigene Anforderungen für Produktdaten und Barrierefreiheit vor – Händler sollten ihre Listings frühzeitig überprüfen und anpassen.
Vergleich: Das verlangen eBay und Amazon
Plattform | Barrierefreiheit Pflicht? | Alt-Texte für Bilder | Struktur & Sprache | Erklärung erforderlich | Dokumente hochladen |
---|---|---|---|---|---|
eBay | ✔ ja | ✔ in Beschreibung | ✔ klar & verständlich | ✔ im Verkäuferkonto | ✔ PDF möglich |
Amazon | ✔ ja | ✔ erwartet | ✔ erwartet | 🔜 wahrscheinlich | ✔ sinnvoll |
Was Händler jetzt tun sollten
✅ Sortiment prüfen: Bietest du Produkte an, die unter das BFSG fallen?
✅ eBay-Konto anpassen: Hinterlege eine Erklärung zur Barrierefreiheit und überarbeite deine Angebotsbeschreibung.
✅ Amazon-Listings checken: Entferne rechtzeitig nicht-konforme Produkte und achte auf klare Produktinformationen.
✅ Content überarbeiten: Nutze einfache Sprache, strukturierte Texte, Bildbeschreibungen und ergänze technische Informationen, wenn vorhanden.
Fazit
Barrierefreiheit wird zur Plattformpflicht. Während eBay bereits konkrete Anforderungen formuliert, wird auch Amazon Schritt für Schritt seine Standards anpassen. Wer rechtzeitig vorbereitet ist, schützt sich vor Abmahnungen – und erschließt eine größere Zielgruppe mit barrierefreien Angeboten.
Danke für die Zusammenfassung!
Ich finde die Panikmache mancher Agenturen und Dienstleister unseriös, die selbst bei kleinen Händlern mit dem Thema Barrierefreiheit Angst vor Abmahnungen schüren, um sich Aufträge zu sichern. Daneben sollte jeder wissen, ob und wie weit er Barrierefreihheit auf seiner Website benötigt, was mitunter auch aus z.B. SEO-Gründen vorteilhaft sein kann.