Mehrere Amazon-Händler berichteten vergangene Woche unisono, dass sie Anrufe von Amazon UK erhalten haben. Die geführten Telefonate deuten darauf hin, dass Amazon sein Logistiknetz bald für Drittanbieter öffnet und somit ein vollwertiger Paketdienstleister wird. Überraschend ist das nicht, denn auf dem Heimatmarkt und in UK ist das Unternehmen bereits gestartet. Die Frage ist also nur noch: Wann ist der Starttermin in Deutschland für Amazon Shipping?

Was passierte bereits in UK?

Im September vergangenen Jahres startete Amazon Shipping als Pilot, bis es dann vor 4 Wochen in England gelauncht wurde. Dort brilliert der Alleskönner aus Seattle mit guten Versandpreisen, einfacher Preisliste, Wochenendzustellung aber auch ›Next Day Delivery‹. Händler benötigen keinen Vertrag und können Amazon Shipping bereits ab einem Volumen von 20 Paketen pro Tag nutzen. Die Anmeldung erfolgt über ein Kontaktformular.

Und in Deutschland?

Der Plattformbetreiber ist dafür bekannt, dass seine Services einfach skalierbar sind, sodass davon ausgegangen werden darf, dass man sich hier in Deutschland nun auch auf einen Start von Amazon Shipping vorbereitet. Das unterstreichen die aktuell mit Händlern geführten Telefonate. Es wird nun damit begonnen, die Besonderheiten des deutschen Markts zu eruieren. Der Pilotstart wird im September sein und im Juni 2021 wird offiziell gelauncht. Das sagt jedenfalls der Blick in die Glaskugel.

Was wurde telefonisch abgefragt?

In den geführten Telefonaten wurden im Wesentlichen angefragt, wann z. B. eine Abholung gewünscht wäre und wie diese zu erfolgen hätte. Auch Zustellzeiten und Verpackungen und Paketgrößen wurden besprochen und natürlich auch Preisstellungen. Zusammengefasst also alle Besonderheiten aus Sicht der Versandhändler versucht man gerade zu sondieren

Was bedeutet das nun für den deutschen KEP-Markt?

Es muss nicht groß orakelt werden, um die These aufzustellen, dass der Eintritt von Amazon in den Markt für Unruhe unter den Dienstleistern sorgen wird. Zu Recht, denn es entsteht das, was in den letzten Jahren trefflich und zum Leid der Händler vermisst wurde: Wettbewerb. Dieser ist dringend notwendig. Es ist nicht falsch, zu postulieren, dass die großen Versender DHL, DPD, GLS und Hermes gerade den KMU-Handel am langen Arm verhungern ließen.

Aber wovor sollten die ›Alten‹ Angst haben?

Hier darf zunächst einmal der Hype um Amazon Shipping eingebremst werden. Viele Branchenakteure meinen, dass Amazon die Logistik neu erfindet. Dem ist nicht so. Aber Amazon ist ein hervorragendes Copycat. Und zwar von Logistikern, die im B2B-Kontext tätig sind. Dort sind bereits alle ›Neuerungen‹ von Amazon seit Jahrzehnten Standard. Fangen wir an:

Same Day Delivery oder 3h-Delivery: Als Branchenlösung z. B. im KFZ-Teile-Bereich oder unter Apothekern seit 20 Jahren ein Standard.

Lieferung in den Kofferraum: Wurde von den Nachtversendern vor circa 15 Jahren eingeführt. Damit sollten Fahrzeuge von Servicetechnikern mit Ersatzteilen bestückt werden.

Lieferung in die Wohnung: Im B2B-Bereich werden seit Jahrzehnten über Nacht Waren in die ›Halle‹ von Firmen geliefert. Wer es kennt: Ihr gebt euren Schlüssel an den Nachtversender.

Dezentrale Lagerung: Diese ist Voraussetzung für untertägige Belieferungen. Im Apothekenbereich ist das ein normales Geschäftsmodell. Mittlerweile auch im KFZ-Teile-Großhandel.

Der Unterschied zu Amazon ist, dass diese Zustellungsformen bisher nur im B2B-Umfeld gefragt, genutzt und von Nischendienstleistern angeboten wurden, die keine Expertise in der B2C-Zustellung haben. Seit Jahrzehnten, also schon lange vor Amazon, haben hier die großen Paketdienstleister kleineren Nischenanbietern das Feld überlassen. Amazon hat nun genau diese Lücke geschlossen und wird damit erfolgreich sein. Sehr sogar. Verständlich also, dass einige Akteure der KEP-Branche die Hose gestrichen voll haben.

Und ihr so? Ihr chillt mal

Primärer Nutznießer dieser anstehenden Evolution seid ihr. Klar, wer sonst profitiert von einem entstehenden starken Wettbewerb? Sowohl der Umgang mit euch als auch die Preisstellungen und Verhandlungsbereitschaft der Versender wird sich ändern. Diese haben in den letzten Verhandlungsrunden ja kräftig zugelangt.

Und Amazon?

Unklar ist, wie Amazon die Daten nutzen wird. Denn diese sind ein Schatz. Der Goliath aus Seattle bekommt nun auch Informationen über Haushalte und Personen außerhalb des Amazon-Kosmos frei Haus geliefert. Sich auszudenken, welche Schlüsse aus diesen neuen Daten gezogen werden können, fällt nicht schwer.

Minimalistisch gedacht, bedeutet es für das US-Unternehmen, dass es seine Lieferkette ausgelastet und finanziert bekommt. Das ist wichtig, wenn der Alleskönner seine Services gegenüber dem Endverbraucher weiter ausbauen möchte. Die Technologie dazu hat er. Die Daten und die Ressourcen auch!