Amazon: Blackhat Angriff auf deutschen Seller & Hausdurchsuchung

Dass das Leben auf dem Amazon Marketplace kein Ponyhof ist, ist bekannt. Dass die Methoden, mit denen die Marketplace-Händler um Klicks, Kunden und Conversion kämpfen, immer wieder die Grenze zur Illegalität überschreiten, auch. Und trotzdem fällt der Amazon-Krimi, den der Rechtsanwalt Stefan Vieten über den Fall von zweien seiner Mandanten zu berichten hat, aus dem Rahmen. Es geht um Urkundenfälschung, Amtsanmassung und Betrug.

Der Rechtsanwalt Stefan Vieten aus Mönchengladbach vertritt zwei Amazon-Händler, die gemeinsam auf Amazon.de Medizinprodukte wie Schwangerschafts- und Ovulationstests verkaufen. Ein hart umkämpftes Segment, in dem viele Anbieter um die begehrte Buybox kämpfen – offenbar mit allen Mitteln. Ein Konkurrent treibt es besonders hart: Seit 2017 überzieht er die beiden Händler mit Abmahnungen. Die beiden wehren sich so gut es geht, auch mit anwaltlicher Unterstützung, und schießen schließlich zurück: Kurz nachdem sie ihrem Konkurrenten bei Amazon wegen mutmaßlichen Rezensionsbetrugs gemeldet hatten, wird sein Account gesperrt.

„Und kurz darauf wurde es mysteriös“, berichtet ihr Anwalt. „Plötzlich und ohne Angabe von Gründen sperrte Amazon im Mai 2018 die wichtigsten Bestseller meiner Mandanten, was zu massiven Umsatzeinbrüchen im hohen fünfstelligen Bereich führte.“ Vieten schrieb die Rechtsabteilung von Amazon an, und erfuhr schließlich, nach vielen mühsamen Briefwechseln, den Grund für die Sperre: Amazon habe mehrere Schreiben vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn bekommen, laut dem die Produkte der Seller nicht zugelassen seien.

(Die Schreiben liegen uns vor)

Das Institut ist eine selbstständige Bundesbehörde, die für die Arzneisicherheit in Deutschland zuständig ist. In Bezug auf Medizinprodukte soll sie mögliche Risiken erfassen und überwachen. In dem offenbar hochoffiziellen Schreiben (garniert mit dem Bundesadler), das Wortfilter vorliegt, heißt es in verquastem Beamtendeutsch:

„Basierend auf aktueller deutscher Rechtslage […] müssen medizinische Produkte dieser Art obligatorisch eine fachgerechte Kennzeichnung vorweisen können. Die folgenden Produkte erfüllen die aufgelisteten Anforderungen aufgrund unter anderem fehlender Kennzeichnung sowie einer Zertifikatsfälschung nicht.”

Es folgt eine Auflistung aller Bestseller-ASINs von Vietens Mandanten. „Das war natürlich völliger Blödsinn“, so der Anwalt erbost. Ein Anruf bei der Bundesbehörde ergab des Rätsels Lösung: „Das Bundesinstitut hat uns klipp und klar gesagt, dass dieses Schreiben nicht aus ihrem Haus kommt – und sofort Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Urkundenfälschung und Amtsanmassung gestellt.“

Wie im Krimi: Erst die Hausdurchsuchung, dann das Geständnis

Vieten wiederum hat längst einen Verdacht, wer hinter dem gefälschten Behördenschreiben steckt – und stellt einen Unterschriftenvergleich zwischen den Dutzenden Abmahnungen gegen seine Mandanten und der gekritzelten Unterschrift auf dem angeblichen Behördenbrief an. „Im Ergebnis hat sich dann die Staatsanwaltschaft meinem Verdacht angeschlossen und das Haus des Konkurrenten meiner Mandanten durchsuchen lassen“, so der Anwalt. Der Konkurrent, mittlerweile bereits wegen eines Betrugsfalls polizeibekannt, gestand die Fälschung während der Hausdurchsuchung ein – und ist damit ein Fall für die Strafverfolgung.

Wenn Vietens Mandaten geglaubt hatten, dass die Sache damit ausgestanden sei, hatten sie sich allerdings getäuscht: Obwohl seit Mitte letzten Jahres ein Strafverfahren gegen ihn läuft, führte der Konkurrent weiter zivilrechtliche Verfahren gegen die beiden Amazon-Seller (die allerdings allesamt abschlägig beschieden wurden) – und verkauft seine Produkte auf Amazon weiterhin, unter einem neuen Seller-Account auf den Namen eines Familienangehörigen. „Wir haben Amazon mehrfach daraufhin gewiesen, dass es sich hier um den gleichen Seller handeln muss“, so Vieten. „Er verkauft die gleichen Produkte wie zuvor, die Adresse im Impressum ist die gleiche, sogar der Nachname des Verkäufers ist gleichgeblieben. Wir haben Amazon mehrfach gesagt: Ihr arbeitet da mit einem mutmaßlichen Straftäter zusammen, gegen den ein Verfahren läuft – aber der Ersatz-Account bleibt weiter aktiv.“

Schwere Vorwürfe gegen Amazon

Vieten beklagt in dem gesamten Fall vor allem den spröden Umgang mit den zuständigen Amazon-Stellen. „Man spricht mit Amazon wie mit einem Roboter“, kritisiert der Anwalt. „Man kann nur immer wieder an die gleiche Amazon Legal-Adresse schreiben, und dabei muss man jedes Mal den gesamten Sachverhalt erklären, weil es keine Aktenzeichen gibt. Und dann bekommt man Antworten von immer wechselnden, stets anonymen Sachbearbeitern. Es gibt keine Möglichkeiten, um ein Problem an eine höhere Entscheidungsstelle zu eskalieren, oder eine Lösung zu beschleunigen. Und während man sich an dieser Bürokratiemühle aufarbeitet, häufen sich die Tagesverluste bei Sperrungen immer höher an.“

Der Rechtsanwalt ist mit seinen Klagen nicht allein; in der Branche wird der Ruf nach besseren Kommunikationsmöglichkeiten mit Amazon oder auch nach ordentlichen Prozessen für die Streitschlichtung zwischen Amazon-Händlern immer lauter. Der Marktplatz selbst äußert sich zu solchen Forderungen nicht. Auf unsere Anfrage nach einer fehlenden Ombudsstelle macht sich Amazon einen schlanken Fuß:

„Jeden Tag arbeiten wir intensiv daran, das Vertrauen unserer Kunden und Verkaufspartner zu gewinnen und zu erhalten. Akteure mit schlechten Absichten, die versuchen, dieses Vertrauen zu zerstören und unsere Systeme zu missbrauchen, machen nur einen geringen Teil der Aktivitäten auf unserer Website aus. Wir verwenden hochentwickelte Programme unterstützt von maschinellem Lernen, um sie zu bekämpfen, und wir machen es immer schwieriger für sie, sich zu tarnen. Wir sperren solche Akteure für unsere Website, und wir arbeiten mit redlichen Verkaufspartnern und Strafverfolgungsbehörden zusammen, um sie durch die Einbehaltung von Geldern und die Verfolgung von zivil- und strafrechtlichen Sanktionen zur Verantwortung zu ziehen. Es zeigt sich eine eklatante Missachtung unserer Richtlinien und in einigen Fällen auch des Gesetzes. Und das spiegelt nicht die erfolgreiche Gemeinschaft ehrlicher Unternehmer wider, die die große Mehrheit unserer Verkaufspartner stellen.“

Was aber passiert, wenn die erwähnten „hochentwickelten Programme unterstützt von maschinellem Lernen“ bei der Erkennung von „schlechten Absichten“ offenkundig versagen, und wie unbescholtene Amazon-Händler in solchen Fällen zu ihrem Recht kommen, dazu schweigt sich der Marktplatz aus.

Kartellamt sieht keine Zuständigkeit

Auch vom Bundeskartellamt dürfen Amazon-Händler in solchen Fällen aktuell keine Hilfe erwarten. „Mit unserem Verfahren gegen Amazon haben wir grundlegende Verbesserungen für die Händler erwirkt. Amazon hat aufgrund unseres Verfahrens seine Geschäftsbedingungen weltweit auf allen seinen Marktplätzen zugunsten der Händler geändert“, so ein Sprecher der Behörde auf unsere Anfrage. „Natürlich erreichen uns dennoch viele Beschwerden, was aber angesichts von über 300.000 Händlern auf dem Marketplace auch nicht verwundert. Soweit wir begründete Vorwürfe gegen Amazon sehen, nehmen wir auch Kontakt zu Amazon auf und diese Fälle werden geklärt oder den Beschwerden abgeholfen. Die Bewertung von Vorgängen, bei denen sich ein konkurrierender Händler über einen anderen beschwert, ist sehr schwierig. Eigentlich müsste hier zunächst eine zivilrechtliche Klärung erfolgen.“

Fazit

Nicht häufig werden solche ‚Krimis‘ öffentlich gemacht. Zwar ist viel zu hören und es wird viel erzählt, jedoch trauen sich die Beteiligten leider zu wenig uns Medien die Erlaubnis zu geben darüber zu berichten. Das ist schade, denn nur wenn solche Fälle öffentlich werden kann sich ein Verständnis für die Gefahren und die Missstände auf dem Amazon Marketplace zu handeln entwickeln. Das ist wichtig um Gehör bei Behörden und Politik zu bekommen.

Dieser, wie so viele andere Fälle aber auch, zeigen wie sehr Händler in Abhängigkeit zu Amazon stehen. Und es wird offensichtlich, dass es eine unabhängige Stelle geben muss, z.B. einen Ombudsmann, der diese Eskalationen verhindert. Algorithmen können viel, jedoch nicht solche individuellen Fälle lösen.

Daher eine dringende Bitte an euch: Wendet euch an die Medien, wendet euch an uns und macht eure Cases – gerne anonym – öffentlich!

12 Gedanken zu „Amazon: Blackhat Angriff auf deutschen Seller & Hausdurchsuchung

  1. Alfred Gel

    In den letzten 6 Monate drei Artikel gesperrt wegen angeglich gebrauchter Ware. Wir wissen 100% das alles neu ist. Es dauert jedes mal eine Ewigkeit bis die Artikel wieder frei sind. Es muss sich dringend etwas ändern.

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  2. Walter

    Auch wir haben seit vielen Monaten nur noch Probleme mit Amazon. Artikel werden einfach gesperrt weil angeblich “Gebraucht als NEU” verkauft wurde. Dazu braucht ein Kunde wohl nur ein paar falsche Wörter in einer Nachricht zu schreiben, schon wird der Artikel durch den algorithmus gesperrt. Danach soll man jedes mal einen Maßnahmeplan einreichen um den Artikel wieder entsperrt zu bekommen.

    Dann wurden uns jede menge Artikel gesperrt mit der Begründung “Verdacht auf Verletzung geistigen Eigentums”. Etliche Anfragen an Amazon woher dieser Verdacht kommt blieben unbeantwortet.

    Und das höchste sind die Artikel-Sperrungen wegen “Verstoß gegen Markenrecht”.
    Dazu genügt es wenn ein Kunde glaubt/behauptet eine Fälschung erhalten zu haben.
    Früher konnte mit großen Aufwand der Artikel mit einem Maßnahmeplan freigeschaltet werden.

    Bei dem letzten Fall hat sich amazon aber geweigert den Artikel freizuschalten, obwohl alle Rechnungen etc. vorgelegt wurden.
    Da wir nur ein Stück dieses Artikels verkauft haben, war es nicht schwer den Kunden zu finden.
    Der hatte wirklich in einer Nachricht geschrieben, dass er meint der Artikel wäre gefälscht und er wolle eine Rückgabe machen.
    Die Rückgabe wurde auch ausgeführt. Bis plötzlich 10 bis 14 Tage danach der Artikel gesperrt wurde und wir eine Verwarnung dazu erhalten haben.

    Wir haben amazon darauf hingewiesen dass dies eine Verleumdung vom Kunden wäre.
    Der Kunde behauptet irgend etwas ohne Beweise. Gegen den Kunden könnten wir Rechtlich vorgehen und würden zu 100% Recht erhalten. Weiters könnten wir dann auch Schadensersatz vom Kunden einfordern.

    Das haben wir natürlich nicht gemacht, da uns dieser Artikel nicht so wichtig ist.

    Aber eigentlich gefährdet amazon die eigenen Kunden mit diesem Verhalten.

    Amazon mißbraucht die eigenen Kunden dazu quasi die Arbeit zu erledigen und Fälschungen zu melden.
    Ohne die Kunden darauf hinzuweisen welche rechtlichen Probleme sie damit erhalten können.

    Mich wundert es nur dass es noch keine großen Prozesse gegen Kunden gegeben hat.
    Wenn uns ein wichtiger Artikel so gesperrt würde, dann hätten wir uns das ganze genauer überlegt.

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    1. soso

      Wir erstatten in solchen Fällen Anzeige. Amazon ist immer fein raus, weil die nur auf Informationen der Käufer reagieren. In einem Ermittlungsverfahren ist uns gesagt worden, dass sich auch die Beamten schwer tun würden, von Amazon Informationen zu erhalten.
      Irgendwie verliert man dann den Glauben an den Rechststaat und an die Konstruktion EU, in der irgendwelche Luxemburger 2 Mann Büros für Milliardenumsätze verantwortlich sein sollen.

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  3. Manfred

    Lug und Trug in Dauerschleife. Nichts neues. Artikel werden als NICHT NEU gesperrt, man fordert einen Maßnahmeplan, letztlich aber geht es Amazon nur um die Rechnungen der Quelle und dann wird die Ware selbst organisiert. Kunden lügen betrügen Amazon erstattet auf Kosten der Händler und erntet noch den Dank der Betrüger. Falsche Abrechnungen treiben einen steuerlich in die Zwickmühle, absolut verwirrende Dokumente die gar nicht erst den Anschein machen man wolle Transparenz liefern. Mich wundert nur dass die Kunden nicht merken dass auch für sie das alles immer mieser wird. Amazon ist weder günstig noch besonders schnell. Die Produktseiten oft lieblos und falsch, nur wer Chinaschrott sucht findet sofort etwas, die Bewertungen sind gefühlt zu 90% erfunden und wer Prime hat kann sich an immer mieserem Videoprogramm abtun denn alles was sehenswert ist wurde in die Sparten gepackt, HORROR, SCIFI… dennoch kündigt keiner sondern mehr und mehr werden Prime Mitglieder. Last not least, wer will ein ekliges Monopol dass den Einzelhandel komplett ruiniert, dann auch den Rest der Wirtschaft im Land und dessen Server sogar noch Geheimdienstinfos horten weil selbst die zu dumm sind dafür eigene Server zu hosten. Ich habe Jeff Bezos Biographie gelesen und der Typ war schon als Kind ein echter Sonderling, als Erwachsener will er nun alles und duldet nicht dass für jemand andere Krumen abfallen. First we take Manhattan… und das Weltall natürlich auch noch. Erinnert mich durchaus an ungute Zeitgenossen der Geschichte, nur läuft das alles subtiler. Wer auf dem Marketplace arbeitet weiss dass das Gefühl dort nichts mit Selbstständigkeit zu tun hat, man ist in einer Zwangsehe gefangen und fürchtet täglich die Repressalien. Aber das Volk ist leider zu träge und solange man selber einen Benefit hat und die Faulheit bedient wird bleibt alles wie es ist. Kein Wunder dass man immer wieder glückliche Aussteiger im Forum findet die mit dem letzten verfügbaren Atmer rufen, ich bin entkommen, machts gut aber ich will nie nie wieder was damit zu tun haben. Wir arbeiten auch am Absprung, denn was bringt es Umsatzmillionär zu sein wenn man unter dem Strich nicht nur kaum was behält sondern noch zusätzlich seine Würde verliert. Eine Schande dass der Staat dieses Konstrukt zulässt das inzwischen meiner Meinung nach Weltmacht hat, da kann man sich auch mal mit dem Präsidenten anlegen und deutlich machen so wie damals bei der Ausschreibung für ein neues Main Office “gebt uns was wir wollen den wir sind f**ing Amazon”…

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  4. FRANK T

    Wir kriegen fast wöchentlich Markenrechtsverletzungen rein. Natürlich alles Quatsch, denn teils sind es eigene Produkte, teils direkt vom Hersteller gekauft DER uns dann bei Amazon diese rein haut. Grund: Er will alleine verkaufen.

    Wir melden jeden Fall direkt das Kartellamt. Inwieweit diese sich darum kümmert, keine Ahnung!

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  5. Mario

    Wir wurden von Mitbewerbern durch fake-Bestellungen verdrängt ( Lagerbestand auf 0 gesetzt) . Es wurde uns in der Artikelbeschreibung mit Gewalt gedroht und weitere Artikelbeschreibungen illegal geändert (Pornobilder statt Produkt).
    Wir haben monatelang Amazon um Hilfe gebeten. Ohne Antwort zu erhalten.
    Schließlich hat Amazon im Dezember 2019 und Januar 2020 dreimal hintereinander unseren Account gesperrt wegen “undurchsichtiger Vorgänge”.
    Die Ansprechpartner bei Amazon (soweit überhaupt erreichbar) erkannten den Fall sofort richtig und versprachen umgehend Hilfe. Aber diese Gesprächspartner haben keinerlei Kompetenz und so blieb unser Account mehrfach zwischen 2 und 8 Wochen deaktiviert. Der Angreifer blieb unbehelligt.

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  6. soso

    Das ist tragisch, aber es ist eben die Amazon Welt. Wir sollen auch irgendweclhe Markenrechte verletzt haben, wobei die Markt in der Warenklasse unserer Produkte nicht eingetragen, sondern in einer ganz anderen (Äpfel und Birnen sind sich da näher). Da wir nie den Hauptumsatz und vor allem den Großteil der Marge via Amazon generiert hatten, war es letztendlich egal. Produkte dort gelöscht.
    Das Interessante: Amazon selber verkauft diese Artikel nun.

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