Es gibt ihn! Den weißen Fleck auf der Datenlandkarte in Deutschland. Kaum einer kennt ihn und kaum einer bemüht sich, den Fleck zu füllen. Das Schlimme ist, dass es gerade die kleinen und Kleinsthändler betrifft. Weder die Politik, eure IHK oder die Verbände wissen, dass es euch gibt. Der unbekannte Onlinehändler – niemand sieht euch, niemand kennt euch und niemand nimmt euch wahr. Das muss geändert werden.
Eine große Herausforderung, die immer wieder von Verbänden, Händlern und der Politik geäußert wird, ist, dass niemand so genau die Anzahl der tätigen Onlinehändler in Deutschland kennt. Es gibt zum einen Abgrenzungsprobleme, aber auch zum anderen besonders Erfassungsprobleme. Solange diese Aufgabe nicht gelöst ist, wird es schwer, gerade den kleinen Onlinehändlern eine angemessene Position im Handel und der öffentlichen Wahrnehmung zukommen zu lassen.
„Es könnte uns egal sein, ob es nun 150.000 oder 300.000 Onlinehändler gibt. Aber das sollte es nicht. Weil jeder Onlinehändler ein Unternehmer ist und jedes Unternehmen auch Mitarbeiter hat, und damit ist der Onlinehandel ein Standbein für die wirtschaftliche Stabilität dieses Landes. Es ist endlich an der Zeit, dass wir fundierte Zahlen zu der Menge an Onlinehändlern und der Größe der jeweiligen Unternehmen haben, um damit insbesondere auch der Politik zu zeigen, wie wichtig unsere Branche für den Verbraucher, für Arbeitsplätze und unser Land ist“, so Oliver Prothmann Präsident des Bundesverband Onlinehandel in Berlin (BVOH e.V.).
Obwohl dieser Missstand einigen Akteuren der Branche bekannt ist, wird er seit Jahren nicht gelöst. Das ist schade, denn tatsächlich gäbe es eine einfache Methode, die Anzahl mit hoher Genauigkeit zu erfassen. Wo werden denn alle Unternehmen erfasst?
Die Gewerbeanmeldung taugt zu nichts
Jedenfalls dann, wenn es darum geht, herauszufinden, wie euer Gewerbe strukturiert ist. Schaut einmal selbst auf eure Gewerbeanmeldung. Dort könnt ihr in den seltensten Fällen erkennen, ob ihr Onlinehändler seid. Ihr seid Händler, möglicherweise seid ihr sogar beides: Stationärer Händler und Onlinehändler. Das bedeutet: Eine Gewerbeanmeldung ist nicht dazu geeignet, festzustellen, wieviele Onlinehändler wir in Deutschland zählen.
Das Finanzamt
Euer Finanzamt weiß viel, aber auch dort meldet ihr nicht, ob ihr nun Onlinehändler seid. Theoretisch könnte die Finanzbehörde noch nicht einmal sicher feststellen, ob ihr online tätig sein, denn nicht jeder Händler verkauft über Marktplätze. Fazit: Auch das Finanzamt scheidet aus.
Die Industrie- und Handelskammern
Und genau das wäre die Lösung! Die Aufgabe der Industrie- und Handelskammern ist die regionale Wahrnehmung eurer Interessen. Und es muss und darf ausdrücklich gefragt werden, wie sie denn eure Interessen wahrnehmen wollen, wenn sie euch gar nicht kennen. Des Pudels Kern wäre es also, dass die Kammern, die eure Anschriften, Kontaktdaten und auch Rufnummern haben, ihren Datenbestand auffrischen und vervollständigen.
Verletzen viele Kammern ihre Pflichten?
Diese Frage lässt sich tatsächlich beantworten, denn im §1 des IHK-Gesetztes ist geregelt: „Die Industrie- und Handelskammern haben die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen (…).“
Offensichtlich ist, dass die Industrie- und Handelskammern eine Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder nicht wahrnehmen können, wenn unbekannt ist, in welchem Bereich und in welcher Branche das jeweilige Mitglied tätig ist. Daher scheint die Frage äußert berechtigt, ob eure Kammern überhaupt in der Lage sind, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen.
Das Tal der Tränen
Aus einer Vielzahl von Gesprächen mit unterschiedlichen Kammern auf unterschiedlichen Ebenen war eine Zustimmung zu vernehmen, dass eine >Datenlücke< vorhanden sei. Jedoch war von keiner Kammer zu hören, dass sie das Problem lösen will. Unisono war ein gewisser >Unwille< zu spüren.
Meinung: Und nun?
Wie bewegen wir die 79 Kammern und den Dachverband, den DIHK, nun dazu, uns richtig zu erfassen und die Zahlen zu publizieren? Da kann in meinen Augen nur die gesamte Branche helfen. Die Verbände, die Politik und auch ihr seid gefordert, dieses Anliegen weiter zu verbreiten, es zu äußern und zu platzieren. Denn das habe ich gelernt: Der stetige Tropfen höhlt den Stein!
Der Kammerzwang mit seinen automatisierten Zwangsgebühren gehört abgeschafft, dann sähe sich die IHK unter Druck, ihren Verpflichtungen nachzukommen und den nötigen Service zu bieten, weil sie dann für den Nutzen einer Mitgliedschaft Überzeugungsarbeit leisten muss.
Ich habe mir alte Zeitungsartikel zeitweilig aufgehoben, wo es eine Händlerbewegung gegen den Kammerzwang gab, Tenor: Die Kammer leistet nichts außer ihrem eigenen Selbsterhalt, für ihre bauliche Repräsentanz, für teure Dienstwagen, für eine kleine allein abstimmungsberechtigte Geschäftselite. Überschrift: IHK ist eine legalisierte Mafia. Mitgliedsgebühren als eine Art Betriebserlaubniszahlung bzw. Schutzgeld. Der damalige Wirtschaftsminister unter Helmut Kohl, Günther Rexrodt (FDP) verfügte eine stärkere Mitgliederzwangs- und Zahlungssverpflichtung der kleinen Händler zur Entlastung der großen Konzerne. Man merke: Ein FDP-Mann! Staatliche Zwangsverordnung zugunsten eines Interessenverbandes. Zwangsbewirtschaftung im Kapitalismus, ein Treppenwitz.
Und das behauptete “gesamtwirtschaftliche Interesse”? Marktwirtschaft ist Konkurrenz! Die einen wollen größer werden und dai anderen müssen dafür weichen. Typisches Beispiel: Bauunternehmer Philipp Holzmann machte die Konkurrenz mit Dumpingpreisen platt, um später selber ein Opfer dieser Strategie zu werden. Gerhard Schröder machte sich für diesen Marktzerstörer bei den Banken stark. Von der IHK kein Kommentar zu Holzmanns marktzerstörendem Gebaren. “Gesamtinteresse” gibt es nur in der chinesischen Zentralverwaltungswirtschaft, die über Sein oder Nichtsein des einzelnen Gewerblers entscheiden kann.
Zur Geschichte: Der Kammerzwang wurde flächendeckend von den Nazis eingeführt, um schneller Juden aus dem Gewerbe verdrängen zu können (gleiches Motiv bei der Bezirksschornsteinfegerverordnung und anderen berufsspezifischen Gesetzgebungen). Die Alliierten haben nach 1945 den Kammerzwang als NS-Gesetz abgeschafft, Adenauer hat ihn wieder (um die antisemitischen Passagen bereinigt) eingeführt, weil er die Wirtschaftsgrößen aus der NS-Zeit durch Kammergesetze für den Wiederaufbau Westdeutschlands gestärkt sehen wollte. Denkwürdige Parallele: Kammerzwang gibt es sonst noch in Österreich und Spanien, ebenfalls Länder mit faschistischer Vergangenheit. Die meisten unserer europäischen Nachbarn kennen ihn nicht.
An dieser Fragestellung haben wir uns schon oft versucht und sind erstmals vor genau zehn Jahren damit gescheitert: https://www.shopanbieter.de/63-basieren-100-000-onlineshops-auf-xtcommerce . 😉
BTW: Als Erstes müsste man klären, was ein Online-Händler überhaupt ist: Ist bspw. ein Influencer oder Private Label-Anbieter, der seine Ware aus China direkt importiert und ausschließlich über Amazon, eBay oder Facebook verkauft, ein Hersteller oder Händler? Und ab welchem Umsatzanteil gilt ein stationärer Händler als Online-Händler.
Fazit: Sehr spannende und wichtige Frage, aber auch nach zehn Jahren habe ich noch keinen Lösungsansatz zur Herangehensweise gefunden.