Anker und der Preis des Erfolgs – Wie Steven Yangs „Shallow Waters Strategy“ Innovation und Risiko definiert

Anker gilt als Beispiel einer neuen Generation chinesischer Händler: technikgetrieben, global aufgestellt, professionell gemanagt. Doch hinter dem Erfolg steht ein riskantes Konzept, das leicht scheitern könnte, wie es triumphiert – Steven Yangs sogenannte „Shallow Waters Strategy“.

Der Gründer und CEO von Anker Innovations, ehemals Ingenieur bei Google, hat mit dieser Strategie das Fundament für einen Konzern gelegt, der heute in über 100 Ländern aktiv ist. Aber sie hat Anker auch an die Grenze des Zusammenbruchs gebracht. Die Geschichte von Anker ist eine Lektion darüber, was passiert, wenn Vision auf Wirklichkeit trifft – und wie ein Unternehmen aus Fehlern lernen muss, ohne seinen Kurs zu verlieren.


Vom Google-Ingenieur zum globalen Markenarchitekten

Steven Yangs Werdegang: 2011 verließ er das Silicon Valley, um in China etwas aufzubauen, das damals kaum existierte: eine globale Marke mit chinesischen Wurzeln.
Er startete mit Laptop-Akkus – günstig, effizient, technisch sauber. Heute verkauft Anker weltweit Produkte unter den Marken Anker, Eufy, Soundcore, Nebula oder AnkerMake.

2024 erzielte das Unternehmen 24,7 Milliarden Yuan Umsatz, rund 3,4 Milliarden US-Dollar. Über 95 Prozent davon kamen aus internationalen Märkten – eine Leistung, die kaum ein anderer chinesischer Händler erreicht. Doch dieser Erfolg war nicht linear.

2025 wurde für Anker zum schwierigsten Jahr der Firmengeschichte. In den USA musste das Unternehmen eine groß angelegte Rückrufaktion abwickeln, gleichzeitig lief eine Steueruntersuchung. Bereits 2022 hatte sich gezeigt, dass fast drei Viertel der Produktlinien unterperformten.

Anker stand am Rande der Pleite– und Yang selbst vor der Frage, ob seine Strategie überhaupt tragfähig war.


Die „Shallow Waters Strategy“ – Wachstum durch viele kleine Märkte

Der Begriff klingt harmlos, fast poetisch. Doch dahinter verbirgt sich ein hochkomplexes Konzept, das Ankers Erfolg und Risiko zugleich definiert.

Yang entwickelte die Strategie 2017 während seines MBA-Studiums – ausgelöst durch Angst. Seine Powerbank-Sparte machte damals fast die Hälfte des Umsatzes aus. Doch er sah voraus, dass diese Kategorie verschwinden könnte, wenn Schnelllade-Technologien oder größere Smartphone-Akkus Standard würden.

Seine Erkenntnis:
Elektronikmärkte sind kurzlebig. Wer auf ein Produkt setzt, ist bald irrelevant.

Yang unterteilte Märkte deshalb in zwei Arten:

  • Deep Seas – riesige, stabile Märkte wie Computer, Autos oder Smartphones.
  • Shallow Waters – kleinere, volatile Märkte wie Drohnen, Smart-Home, Heimüberwachung oder Drucktechnik.

Während „Blue Whales“ wie Apple die Tiefsee dominieren und „Great White Sharks“ wie Dyson gezielt Nischenmärkte besetzen, wollte Yang, dass Anker zu einem „Orca Pod“ wird: ein Zusammenspiel vieler kleiner Einheiten, die gemeinsam stark sind.

Das Ziel: Agilität, Risikostreuung und Innovationskraft.
Anker sollte nicht an einem Produkt scheitern, sondern in vielen kleinen Märkten wachsen.

Bis 2022 hatte Anker so 27 Produktlinien aufgebaut – von Kameras über Lautsprecher bis hin zu Robotern und Energiesystemen. Doch Vielfalt allein reicht nicht.


2022 – Das Jahr der Ernüchterung

Im Rückblick nennt Yang das Jahr 2022 „einen Weckruf“.
Von 27 Geschäftsbereichen schrieben 20 rote Zahlen.

Die Ursachen lagen tief:
Viele Manager waren zu optimistisch in ihren Prognosen. Führungskräfte trafen Entscheidungen ohne tiefes Marktverständnis. Und Yang selbst war zu weit entfernt vom Tagesgeschäft.

🔍 Kurz & Knapp: Anker und die „Shallow Waters Strategy“

  • 💡 Strategie: Viele kleine Märkte statt wenige große – Diversifikation als Schutz vor Marktveränderungen.
  • ⚠️ Krise 2022: 20 von 27 Produktlinien scheitern – Managementfehler und Überoptimismus.
  • 🔧 Wende: Neuaufbau der Teams, Fokus auf Qualität & Führung, erfolgreiche Pivotierung zum UV-Druck.
  • 📉 Verluste: Verluste bewusst eingeplant – solange Gesamtmarge über 5 % bleibt.
  • 🤖 Zukunft: Fokus auf Embodied Intelligence (Roboterhund, Smart Security) und industrielle UV-Drucktechnologie.
  • 🌍 Lehre für Händler: Fehler zulassen, Prozesse steuern, langfristig denken, beweglich bleiben.

Ein Beispiel verdeutlicht das Drama:
Ankers 3D-Druck-Team brachte 2022 einen Drucker auf den Markt – zeitgleich mit dem Shootingstar Bambu Lab.
Die Ergebnisse waren ähnlich stark. Doch nach dem Launch häuften sich Reklamationen und schlechte Bewertungen.
Das Produkt war fehleranfällig, das Qualitätsmanagement schwach, die Organisation überfordert.

Während Bambu Lab zum globalen Benchmark aufstieg, musste Anker zusehen, wie die eigene Sparte abstürzte.

Anstatt die Abteilung zu schließen, übernahm Yang persönlich das Kommando. Er entließ den Bereichsleiter, restrukturierte das Team und gab ihm eine neue Aufgabe: UV-Drucker.
Zwei Jahre später, 2025, brach diese Sparte einen internationalen Rekord.

Es war die späte Belohnung für Geduld, Führungsstärke – und Demut.


Fehler als Führungsinstrument

Steven Yang spricht offen über Versagen – etwas, das in der chinesischen Wirtschaftskultur noch immer selten ist.
Er sagt:

„Ich hatte geglaubt, Systeme würden die Menschen führen. Aber Systeme ohne Menschenverständnis sind wertlos.“

Er erkannte, dass Anker an Management, nicht an Technik scheiterte.
Er führte regelmäßige Leistungsanalysen ein, besetzte Schlüsselpositionen neu und änderte seine eigene Rolle: weniger Investor, mehr Mentor.

Anker begann, Führungskräfte danach zu bewerten, wie sie Fehler managen, nicht nur, wie sie Erfolge produzieren.

Dieses Prinzip hat sich bewährt: Heute sieht Yang Fehlschläge als notwendige Datenpunkte.


Verluste als Teil des Plans

Einer der auffälligsten Aspekte von Ankers Strategie ist die Bereitschaft, massiv Geld zu verlieren – und das über Jahre hinweg.

In westlichen Unternehmen würde das als Wahnsinn gelten. Bei Anker ist es kalkulierte Strategie.
Solange die Gesamtgewinnmarge über 5 Prozent liegt, dürfen einzelne Produktlinien Verluste machen.

Beispiel:

  • Das Geschäft mit Heimspeicherlösungen machte zwischen 2020 und 2023 Verluste von rund 6 bis 7 Milliarden Yuan.
  • Heute ist es profitabel und hat zum Konkurrenten EcoFlow aufgeschlossen.

Auch andere Sparten wie Smart-Home-Sicherheit oder 3D-/UV-Druck wurden mit Verlusten aufgebaut, bevor sie sich etablierten.

Yang erklärt das so:

„Innovation ist wie Forschung. Wenn du Ergebnisse nach einem Jahr erwartest, machst du keine Innovation, sondern Routine.“

Diese Langfristigkeit unterscheidet Anker von vielen westlichen Techfirmen, die quartalsweise denken.
Anker plant in Dekaden.


Der nächste Schritt: Verkörperte Intelligenz

Steven Yangs neue Vision heißt „Embodied Intelligence“ – also Künstliche Intelligenz, die in physischer Form mit der Umwelt interagiert.

Konkret arbeitet Anker an einem Roboterhund, der mit den Eufy-Sicherheitskameras verbunden ist.
Er erkennt Bewegungen, warnt bei Eindringlingen und wird Teil eines vollintegrierten Sicherheitsökosystems.

Damit betritt Anker eine neue Ebene: weg von passiver Hardware, hin zu autonomen Systemen.
Das ist nicht nur technologisch spannend, sondern auch strategisch klug:
Während die Konkurrenz in bestehenden Kategorien kämpft, schafft Anker neue Märkte, in denen es First Mover ist.

Ein ähnlicher Ansatz zeigt sich beim UV-Druck.
In diesem Segment gibt es bisher kaum ernsthafte Konkurrenz.
Anker nutzt seine Produktionskompetenz, um dort Standards zu setzen – genau wie früher bei Powerbanks.


China bleibt Labor, nicht Hauptmarkt

Obwohl Anker in Shenzhen sitzt, liegt der Fokus längst auf dem Westen.
Yang sagt offen:

„Die USA und Europa sind unsere Hauptmärkte. China ist unser Labor.“

Die Begründung ist einfach:
China ist zu kompetitiv, zu preissensibel und zu schnelllebig.
Neue Produkte müssen dort dreimal besser sein, um sich zu behaupten.

Deshalb konzentriert sich Anker in China auf extreme Innovationen – wie den UV-Druck oder Robotik – und nutzt den Heimatmarkt, um Technologie zu perfektionieren, bevor sie weltweit skaliert wird.


Was Händler und Hersteller daraus lernen können

Ankers Geschichte ist ein Lehrstück für Marken, die in einem dynamischen Umfeld überleben wollen.

1. Diversifikation statt Monokultur
Wer alles auf ein Produkt setzt, verliert mit einem Trendwechsel alles. Viele kleine, agile Märkte sind widerstandsfähiger als ein großer.

2. Fehler nicht bestrafen, sondern analysieren
Ein Fehler ist kein Problem – Ignoranz ist es.
Führungskräfte sollten Scheitern als Teil des Lernprozesses verstehen.

3. Geduld ist die härteste Währung
Langfristige Investitionen lohnen sich. Märkte brauchen Zeit, um zu reifen.

4. Führung ist keine Excel-Tabelle
Menschen führen Systeme, nicht umgekehrt. Die besten Tools sind wertlos ohne Empathie und Kontrolle.

5. Märkte sind kurzlebig – Marken müssen beweglich bleiben
Technologien veralten schneller als Strukturen sich ändern.
Unternehmen, die sich nicht selbst regelmäßig hinterfragen, werden von Start-ups überholt.


Anker als Symbol des chinesischen Wandels

Anker verkörpert, was man früher für unmöglich hielt:
eine chinesische Marke, die nicht nur produziert, sondern gestaltet.

Der Konzern steht für eine neue Ära, in der „Made in China“ zu „Created in China“ geworden ist.
Yang ist weniger der typische Fabrikboss, sondern eher ein Technokrat mit Silicon-Valley-Mentalität – rational, lernorientiert, selbstkritisch.

Sein Konzept der „Shallow Waters“ zeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht aus Stabilität, sondern aus kontrolliertem Chaos entsteht.
Wer bereit ist, Unsicherheit zu managen, kann in der heutigen E-Commerce-Welt überleben.


Einordnung

Steven Yangs Anker ist kein makelloser Gigant – sondern ein Unternehmen, das sich ständig neu erfinden muss.
Jede neue Produktlinie ist ein Wagnis. Jede Krise ein Prüfstein.

Doch genau das macht Anker so faszinierend:
Es steht für ein China, das nicht mehr nur kopiert, sondern erfindet.
Für einen Markt, der nicht mehr nur liefert, sondern führt.
Und für eine Unternehmenskultur, die Scheitern als Werkzeug des Erfolgs versteht.

Anker hat gelernt, in flachen Gewässern zu schwimmen – beweglich, wachsam, lernfähig.
Und vielleicht ist genau das das Erfolgsrezept, das auch westliche Unternehmen wiederentdecken müssen:
Nicht Tiefe schafft Sicherheit, sondern Bewegung.

Das war die Inspiration zu diesem Beitrag: https://chinesellers.substack.com/p/inside-anker-failures-fixes-and-shallow


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