Hach, das waren noch Zeiten! Findige Händler fanden eine Nische, starteten einen Webshop und die Umsätze sprudelten ohne Ende. Geht das heute ohne Anbindung an Marktplätze überhaupt noch? Wir haben für euch den Experten Mark Steier gefragt.

von Frank Zimmermann via netzaktiv.de

Das Gesicht des E-Commerce in Deutschland und weltweit hat sich in den zurückliegenden Jahren stark gewandelt. Wie eine Studie des EHI zeigt, hatte allein der Marktführer Amazon am Gesamtumsatz von 24,4 Milliarden Euro der Top-100 E-Commerce-Händler in Deutschland im Jahr 2015 einen Anteil von 7,8 Milliarden Euro. Einsame Spitze! Maßgeblich an diesem Spitzenwert beteiligt sind natürlich auch externe Shop-Betreiber, die Amazon in einer Art Symbiose als Marktplatz nutzen und ihre Produkte dort vertreiben. Eine von mehreren Alternativen zum weltweiten Marktführer von Jeff Bezos für Shopinhaber ist die Plattform eBay.

Mittlerweile erscheint es für kleine und mittlere Online-Händler zumindest schwierig, in Eigenregie komplett an den großen Marktplätzen vorbei erfolgreich zu wirtschaften – like it or not. Die Bedingungen sind nicht immer schön, aber die Zahlen sprechen ein Stück weit für sich. Aber sind Kooperationen mit den Marktriesen für kleine und mittlere Online-Händler wirklich ein Muss? Wer ist für wen der bessere Partner? Wie sollte die technologische Anbindung an die Marktplätze gestaltet werden? Diese und andere Fragen haben wir für euch einem wirklichen Marktplatzexperten gestellt.

Hier kommt unser Interviewmit Mark Steier, Betreiber von www.wortfilter.de.

 

(Foto: wortfilter.de)

Mark, die großen Marktplätze dominieren die Umsätze im E-Commerce und haben mittlerweile sogar auch bei der Produktsuche die größte Suchmaschine Google überholt. Ist für kleine und mittlere Online-Händler ein erfolgreiches Geschäft ohne Kooperation mit Marktplätzen überhaupt noch möglich?

Nein, das denke ich nicht. Jeder Händler und auch jede Marke sollte auf den großen Marktplätzen präsent sein. Dort sind Millionen Konsumenten. Sie warten darauf, die Angebote zu konsumieren. Für den „ottonormal“ Shop ist es nahezu unmöglich diese Sichtbarkeit zu erreichen.

Aus der Sicht eines mittelständischen Shopbetreibers: Was sind die Ups and Downs einer Kooperation mit den großen Marktplätzen?

Zu Ups zählen ganz sicher die sehr einfach gestalteten Einstiegshürden. Halten Händler ordentliche Produktdaten vor, so ist der erste Sale nur wenige Klicks entfernt. Zu den Downs: Gerade die großen beiden Marktplätze agieren sehr Konsumenten zentriert. Die Bedürfnisse der Händler bleiben so oftmals „auf der Strecke“. Dadurch entsteht eine „gefühlte“ Abhängigkeit.

Welche signifikanten Unterschiede gibt es aus deiner Sicht bei einer Zusammenarbeit mit den Marktplätzen Amazon und eBay?

Während die Einstiegshürden bei Amazon zu handeln recht niedrig sind, so sind die Anforderungen an Händler bei eBay größer. Dafür stehen den Händlern dort auch mehr Möglichkeiten zur Verfügung.

Gibt es Kriterien abhängig vom Produktportfolio oder der Zielgruppe eines Online-Shops, die eher für eine Kooperation mit dem einen oder anderen Marktplatzriesen sprechen?

Grundsätzlich sollte jeder Händler beide großen Plattformen bedienen. Nur selten gibt es Gründe, die nur für einen Marktplatz sprechen. Artikel aus dem Bereich „Sammeln & Seltenes“ passen eher zu eBay. Innovationen sollten unbedingt auch auf Amazon angeboten werden. Dort gibt es ein großartiges Programm namens Amazon Launchpad.

Wir hören ja immer wieder, dass die Zusammenarbeit mit den großen Marktplätzen für Online-Händler nicht immer unbedingt vergnügungssteuerpflichtig ist. Wer ist aus deiner Sicht fairer gegenüber den angeschlossenen Händlern, bietet die besseren Tools und den besseren Support? Amazon oder eBay?

Beide Riesen sind gleich schlecht. Leider. Der Wettbewerb um Händler und Marken findet in meinen Augen noch sehr gebremst statt. Und damit sind beide Großen nicht dazu geeignet, ihnen einen guten Händlersupport zu attestieren. Beide Marktplätze sind auf den Händler- „Self Service“ ausgelegt, so dass die guten Tools von Dienstleistern und nicht von den Plattformen selbst angeboten werden. Es gibt einen ganzen Blumenstrauß an Herausforderungen, bei denen die Händler von beiden Marktplätzen im Regen stehengelassen werden. Das ist schade und da sollten beide mal mit mehr, viel mehr Service punkten.

Gibt es neben den beiden genannten großen Marktplätzen weitere Plattformen, die mittelständische Online-Händler sich alternativ einmal ansehen sollten?

Es gibt insgesamt weit über 400 nationale und internationale Markplätze, so dass jeder Händler großartige Möglichkeiten hat, zu skalieren und für eine ausgewogene Umsatzverteilung zu sorgen. Viele Merchants nutzen allerdings selten ihre Chancen und wachsen international. Am Ende des Tages sind da leider die Dienstleister nicht ganz unschuldig, denn „Cross Border Trade“ wird selten von den ganzen Transaktionsabwicklern gut unterstützt. Bestimmt hätten einige erwartet, dass ich Rakuten, Hitmeister und Idealo oder Allyouneed empfehle. Nein, das mache ich bewusst nicht, da ich denke, dass diese Marktplätze entweder mit schlechten Strategien aufwarten (Rakuten) oder schlicht nicht ihr Potential ausspielen (Allyouneed) und auch Hitmeister hätte unter dem Dach von real weit mehr Möglichkeiten. Das finde ich sehr enttäuschend. Und bringen wir es mal auf den Punkt: Solange das Gross Merchandise Value (GMV) dieser Marktplätze kleiner ist als der Umsatz der größten eBay und Amazonhändler, kann man ja noch nicht einmal von einer Relevanz sprechen. Oder kennt ihr einen USP dieser Marktplätze?

Geht erfolgreicher E-Commerce ohne Anbindung an Marktplätze? Wir haben den Guru Mark Steier gefragt

(Foto: Pink Badger / fotolia.com)

Eine Kooperation mit den großen Marktplätzen erfordert stets ja auch eine möglichst effiziente technische Anbindung. Welchen Weg empfiehlst du da? Sind Schnittstellen sinnvoll, oder empfiehlst du individuell programmierte Anbindungen?

Diese Frage lässt sich kaum verallgemeinert beantworten. Hat doch am Ende des Tages jeder einzelne Händler individuelle Merkmale und Bedürfnisse. Jedem Händler, der sich mit der Frage nach einem geeigneten Abwicklungs- und Listingtool beschäftigt, empfehle ich die Seiten von www.ecomparo.de zu nutzen. Ecomparo bietet den umfangreichsten Vergleich zwischen den unterschiedlichen Anbietern an. Eine Empfehlung eigene Lösungen zu entwickeln gebe ich sehr selten. Denn: Alle Tools gegeben Workflows vor, die sich auf die eigene betriebliche Organisation auswirken. Das ist gut, denn hier wirkt die Schwarminteligenz bzw. der Proof of Concept. Wenn ein Händler zu viel Individualisierung benötigt, frage ich mich zuerst, warum das so ist und was er falsch macht. In den meisten Fällen deutet eine starke Nachfrage nach einzigartigen Lösungen auf Herausforderungen in der eigenen Organisation hin. Daher kommt in den meisten Fällen eine individuelle Lösung nur für große Unternehmen in Frage, die sich auch professionell mit den eigenen Prozessen befassen. Aber, und auch das ist wichtig: Nicht selten zeigen aber auch alle Dienstleister auf, dass sie mitunter an den Bedürfnissen der Händler vorbei entwickeln und oftmals als Bremse der Händler anzusehen sind.

Wagst du einen Blick in die Glaskugel? Wird die Marktmacht der großen Marktplätze weiter zunehmen? Und was bedeutet deine Prognose für die kleineren Händler?

Gegenfrage: Kann sie noch weiter zunehmen? Ja, Marktplätze werden DER Eintrittskanal für Konsumenten bleiben. Händler und Marken müssen auf den relevanten Marktplätzen präsent sein. Größte Herausforderung an die Händler wird die notwenige Agilität sein, um mitspielen zu können. Interessant wird es zu beobachten, wie immer neue Geräte den Marktplatzhandel beeinflussen werden. Ich denke hier an Googles und Amazons Sprachbox oder an den Bestellknopf. Kleinere und mittlere Händler werden solche Herausforderungen nur erfolgreich meistern können, wenn die Dienstleister schnell und gut Lösungen anbieten. Darin sehe ich dann auch die größte Herausforderung. Die Frage, ob nun weitere Marktplätze sich in Deutschland einrichten können, hängt von den Marktplätzen selber ab. Natürlich könnte ein Rakuten, Hitmeister oder Allyouneed erfolgreich sein. Stellt euch vor, alle DHL-Autos sind nun auf einmal mit Allyouneed Werbung beklebt. Was wäre das für eine Reichweite. Oder: Hitmeister wäre auf jeder real Wurfsendung und in jedem Supermarkt präsent. Alibaba: gegen diesen Riesen wirken eBay und Amazon ja wie „Frittenbuden“. Dreht er auf und will in den europäischen Markt, dann werden einige in Berlin und München nervös.

Vielen Dank für das Interview, Mark!

Fazit

Spätestens nach diesem Interview mit Mark Steier dürfte auch dem Letzen klar geworden sein, dass außer in absoluten Ausnahmefällen für Online-Händler ohne Anbindung an einen oder mehrere Marktplätze wenig geht. Aber uns interessiert natürlich wie immer, wie ihr die Aussagen von Mark seht. Geht ihr konform oder seid ihr anderer Meinung? Teilt eure Meinungen und euer Wissen bitte mit uns und unseren Lesern. Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion.

(zuerst erschienen auf netzaktiv.de)