Definition: Regelungsinhalt und Neuerungen der Richtlinie

Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie modernisiert die Haftungsregeln für fehlerhafte Produkte grundlegend und ersetzt die bisherige Regelung aus dem Jahr 1985. Wie zuvor steht der Schutz von Verbrauchern im Vordergrund: Hersteller (und bestimmtenfalls weitere Beteiligte) haften, wenn ein fehlerhaftes Produkt Personen verletzt oder Sachen beschädigt – unabhängig von Verschulden. Die Reform reagiert auf neue technologische Entwicklungen, digitale Produkte und globale Lieferketten, um Rechtsunsicherheiten zu beseitigen und den Binnenmarkt zeitgemäß zu harmonisieren.

Erweiterter Produktbegriff

„Produkte“ schließen nun auch digitale und immaterielle Erzeugnisse ein. Insbesondere sind Software und KI-Systeme ausdrücklich erfasst, ebenso digitale Dienste, die in ein Produkt integriert oder mit ihm verbunden sind. Beispielsweise fällt eine App oder KI-Komponente, die für die Funktion eines Geräts erforderlich ist, unter die Produktdefinition. Open-Source-Software ist dagegen ausgenommen, sofern sie nicht im Rahmen einer beruflichen oder kommerziellen Tätigkeit entwickelt oder bereitgestellt wird. Auch digitale Konstruktionsdateien, wie etwa CAD-Dateien für 3D-Druck, gelten künftig als Produkte.

Begriff des Produktfehlers

Ein Produkt gilt als fehlerhaft, wenn es die berechtigten Sicherheitserwartungen der Nutzenden nicht erfüllt oder gegen einschlägige Sicherheitsvorgaben des EU- oder nationalen Rechts verstößt. Neu ist, dass bei der Beurteilung auch Cybersicherheits-Anforderungen berücksichtigt werden müssen. So kann etwa eine gravierende IT-Sicherheitslücke, die einen Hackerangriff ermöglicht, einen Produktfehler darstellen. Zudem bleibt die Haftung des Herstellers bestehen, wenn er auch nach dem Inverkehrbringen Kontrolle über das Produkt hat – etwa durch spätere Software-Updates oder bei selbstlernenden KI-Systemen. In solchen Fällen kann ein erst nachträglich auftretender Mangel dem Hersteller zugerechnet werden. Außerdem können behördliche Sicherheitsmaßnahmen wie Produktrückrufe künftig als Indiz für einen Produktfehler dienen.

Erweiterter Schadenbegriff

Die Richtlinie schützt neben Leben, Körper und Gesundheit jetzt explizit weitere Rechtsgüter. Erfasst sind nun auch medizinisch anerkannte psychische Gesundheitsschäden sowie die Vernichtung oder Beschädigung von Daten, sofern die Daten nicht beruflich genutzt werden. Sachschäden an privat genutzten Gegenständen bleiben ersatzfähig; nur das fehlerhafte Produkt selbst und rein beruflich genutzte Güter sind weiterhin ausgeschlossen. Dadurch können beispielsweise Datenverluste durch ein fehlerhaftes digitales Produkt oder traumatische Belastungen als Schaden geltend gemacht werden.

Haftende Akteure („Wirtschaftsakteure“)

Die neue Richtlinie weitet den Kreis der potenziell Haftenden deutlich aus, um stets einen zahlungspflichtigen Ansprechpartner mit Sitz in der EU für Geschädigte sicherzustellen. Primär haftet weiterhin der Hersteller des fehlerhaften Endprodukts oder Bauteils, einschließlich Quasi-Hersteller. Zusätzlich haften jetzt unter anderem der Importeur eines Produkts aus Drittstaaten, der vom Hersteller benannte Bevollmächtigte in der EU sowie – falls weder Hersteller noch Importeur oder Bevollmächtigter in der EU ansässig sind – der zuständige Fulfillment-Dienstleister, also Unternehmen, die gewerblich Lagerung, Verpackung, Adressierung und Versand für einen Hersteller ohne eigene EU-Niederlassung übernehmen. Online-Marktplatzbetreiber können ebenfalls haften, wenn kein anderer EU-Wirtschaftsakteur greifbar ist oder die Plattform das Produkt so präsentiert, dass Verbraucher annehmen könnten, es stamme vom Plattformbetreiber selbst. Damit schließt die Richtlinie Haftungslücken bei außerhalb der EU hergestellten Produkten: Für jedes in der EU verkaufte Produkt soll es einen verantwortlichen EU-Ansprechpartner geben.

Verfahrensrechtliche Erleichterungen für Geschädigte

Die neue Richtlinie enthält erstmals prozessuale Vorgaben, die die Durchsetzung von Ansprüchen erleichtern. So müssen beklagte Unternehmen künftig relevante Beweismittel offenlegen, wenn der Geschädigte plausible Anhaltspunkte für einen Produktfehler und Schaden vorgebracht hat. Diese Offenlegungspflicht soll die Beweisnot der Verbraucher mildern. Außerdem werden widerlegbare Vermutungen eingeführt: Ist es für den Kläger aufgrund der technischen oder wissenschaftlichen Komplexität des Produkts übermäßig schwierig, einen Defekt oder Kausalzusammenhang zu beweisen, und erscheint dessen Vorliegen wahrscheinlich, kann das Gericht einen ursächlichen Produktfehler vermuten. Gleiches gilt in bestimmten Fällen, wenn gegen Produktsicherheitsvorschriften verstoßen wurde oder ein Produkt rückgerufen wurde. Diese Neuerungen senken die Hürden für Geschädigte, vor Gericht Schadensersatz zu erlangen.

Haftungsumfang und Verjährung

Die bisherige Haftungshöchstgrenze von 85 Millionen Euro für Personenschäden sowie der Selbstbehalt von 500 Euro bei Sachschäden werden abgeschafft. Unternehmen haften künftig unbeschränkt für die genannten Schäden ab dem ersten Euro. Auch die starre Ausschlussfrist wurde gelockert: Statt nach 10 Jahren erlöschen Ansprüche bei schwer latent auftretenden Schäden, wie etwa Spätfolgen durch ein Produkt, erst nach bis zu 15 bzw. maximal 25 Jahren. Damit trägt man beispielsweise Risiken durch langlebige Produkte oder spät erkannte Gesundheitsfolgen Rechnung. Ansprüche müssen aber weiterhin innerhalb der landesspezifischen Verjährungsfristen, in Deutschland regelmäßig drei Jahre ab Kenntnis, geltend gemacht werden.

Zusammengefasst schafft die neue Produkthaftungsrichtlinie ein schärferes Haftungsregime für Produkte im digitalen Zeitalter. Sie erweitert den Anwendungsbereich (Software, KI, Daten etc.), erhöht die Pflichten und Risiken für Hersteller und andere Wirtschaftsakteure und stärkt zugleich die Rechtsposition von Verbrauchern bei Produktfehlern.

Konsequenzen für Händler in Europa (insbesondere Deutschland)

Für Händler und Vertreiber von Produkten ergeben sich spürbar erhöhte Anforderungen und Haftungsrisiken. Insbesondere Unternehmen, die Produkte in der EU verkaufen, müssen prüfen, welche Rolle sie im Sinne der Richtlinie einnehmen – gegebenenfalls werden sie nun in die Herstellerhaftung einbezogen. Ein zentrales Risiko ergibt sich, wenn Händler Produkte aus Nicht-EU-Staaten importieren. In solchen Fällen gelten sie rechtlich oft als Importeur und damit nun als haftender „Hersteller“ gegenüber dem Geschädigten. War der tatsächliche Produzent außerhalb der EU ansässig, konnte der Verbraucher bisher seinen Schadensersatzanspruch nur durchsetzen, wenn ein Importeur in der EU greifbar war. Die neue Richtlinie stellt nun klar, dass in jedem Fall ein EU-Unternehmen haftbar gemacht werden kann – notfalls der Lieferant bzw. Händler selbst oder die Online-Plattform, über die das Produkt vertrieben wurde.

Für Händler bedeutet dies: Sie können nicht mehr darauf vertrauen, dass ein ausländischer Hersteller, den der Endkunde kaum belangen kann, das alleinige Risiko trägt. Stattdessen wandert die Haftung innerhalb der Lieferkette nach vorne: Fehlt ein EU-Hersteller oder -Importeur, steht der Händler (bzw. Plattformbetreiber) im Fokus der Haftung. Auch in Deutschland wird dies erhebliche Auswirkungen haben. Die Richtlinie muss bis spätestens Dezember 2026 in nationales Recht, das deutsche Produkthaftungsgesetz, umgesetzt werden. Ab dann haften beispielsweise deutsche Importeure oder gegebenenfalls Online-Marktplätze verschuldensunabhängig für unsichere Produkte aus Übersee. Deutsche Händler werden daher stärker in die Pflicht genommen, die Sicherheit und Konformität ihrer Waren zu gewährleisten, da sie im Ernstfall selbst als Anspruchsgegner vor Gericht stehen könnten.

Besonders Onlinehändler, die Ware direkt aus Drittstaaten beziehen (Stichwort Direktversand oder Fulfillment-Services), tragen ein erhöhtes Haftungsrisiko, wenn kein anderer EU-Wirtschaftsakteur zwischengeschaltet ist. Zudem müssen sich Händler darauf einstellen, dass mehr Schadensfälle und Anspruchsklagen möglich werden. Durch die abgesenkten Beweisbarrieren und neuen Schadenkategorien können Verbraucher eher Ansprüche geltend machen. Beispielsweise könnte ein Kunde wegen eines durch ein Produkt verursachten Datenverlusts oder psychischen Traumas nun Ersatz fordern – Bereiche, die vorher außerhalb der Produkthaftung lagen. Die Abschaffung der Haftungshöchstgrenze bedeutet, dass Extremfälle, etwa Serienfehler mit vielen Geschädigten, zu sehr hohen Gesamtschadenersatzsummen führen können. Unternehmen müssen sich also auf potenziell steigende finanzielle Haftungsrisiken einstellen.

Für Händler, die eigene Markenprodukte vertreiben oder Produkte in nennenswertem Umfang technisch verändern, gilt besondere Vorsicht: Wer ein Produkt unter eigenem Namen anbietet (Quasi-Hersteller) oder es wesentlich modifiziert und dann auf den Markt bringt, wird als Hersteller behandelt und haftet entsprechend. Diese Konstellation ist etwa bei Importware unter Eigenmarke, bei Refurbishing/Remanufacturing oder technischen Upgrades relevant. Händler sollten hier die gleichen Sorgfaltsmaßstäbe anlegen wie Hersteller, da sie im Fehlerfall identisch haften.

Schließlich sind Online-Marktplatzbetreiber von der Neuregelung betroffen. Zwar haften Plattformen nicht automatisch für sämtliche Händlerprodukte. Aber unter bestimmten Umständen – insbesondere wenn der eigentliche Hersteller/Verkäufer im Ausland sitzt und kein anderer Haftungsadressat in der EU existiert – kann der Plattformbetreiber zur Verantwortung gezogen werden. Das gilt besonders, wenn die Plattform im Außenauftritt wie ein eigener Verkäufer auftritt. Hieraus entsteht für Plattformen ein Anreiz, nur noch solche Drittanbieter zuzulassen, die einen Sitz oder Vertreter in der EU haben, um das eigene Haftungsrisiko zu minimieren. Plattform-Händler-Beziehungen könnten sich dadurch ändern, etwa durch strengere Anforderungen an ausländische Händler.

Insgesamt müssen Händler in Europa, und speziell in Deutschland, zukünftig mehr Verantwortung für die von ihnen in Verkehr gebrachten Produkte übernehmen. Sie sind verstärkt gefordert, Produktsicherheit und Compliance entlang ihrer Lieferketten sicherzustellen, da sie andernfalls selbst in die strikte Haftung genommen werden können. Für die Unternehmenspraxis heißt das, proaktiv Risiken zu managen – etwa durch sorgfältige Lieferantenauswahl, Qualitätskontrollen und klare Vereinbarungen mit Herstellern – um Haftungsfälle zu verhindern oder abzumildern.

Vorbereitung für Händler: Wie Unternehmen sich wappnen können

Angesichts der kommenden Verschärfungen ist Händlern und Herstellern dringend geraten, frühzeitig Vorkehrungen zu treffen, um die neuen Vorschriften einzuhalten und Haftungsrisiken zu minimieren. Folgende Maßnahmen und Strategien sind empfehlenswert:

Haftungsrisiken analysieren

Unternehmen sollten zunächst eine Bestandsaufnahme durchführen: Welche Produkte werden vertrieben, und welche Rolle nimmt das eigene Unternehmen jeweils ein (Hersteller, Importeur, Händler, Plattform)? Davon hängt ab, in welchem Ausmaß die neuen Haftungsregeln greifen. Anhand dieser Analyse ist das individuelle Haftungsprofil zu bewerten – beispielsweise welche Produkte potenziell hohe Risiken bergen, etwa technikintensive Produkte, IoT-Geräte oder Medizinprodukte. Ein solches Risiko-Assessment schafft die Grundlage, um gezielt gegenzusteuern.

Versicherungsschutz überprüfen

Die betrieblichen Haftpflichtversicherungen sollten auf die neuen Rahmenbedingungen hin geprüft und angepasst werden. Insbesondere ist zu klären, ob künftig unbegrenzte Schadenssummen abgedeckt sind (Wegfall der bisherigen Haftungsobergrenze) und ob neue Schadenarten wie Datenschäden mitversichert sind. Gegebenenfalls müssen Deckungssummen erhöht oder Zusatzpolicen, wie etwa eine Cyberversicherung für IT-Schäden, abgeschlossen werden, um den erweiterten Risiken gerecht zu werden.

Lieferkette und Verträge anpassen

Händler sollten ihre Vertragsbeziehungen zu Lieferanten, Herstellern und sonstigen Partnern überprüfen. Empfohlen wird, in Lieferverträgen klare Regelungen zur Produkthaftung und zu Regressansprüchen zu verankern. Beispielsweise kann vereinbart werden, dass der Hersteller den Händler von Ansprüchen Dritter freistellt, falls dieser aufgrund der neuen Richtlinie in Anspruch genommen wird. Wichtig ist auch, von ausländischen Herstellern gegebenenfalls einen EU-Bevollmächtigten zu verlangen oder selbst als Importeur offiziell benannt zu werden, um Zuständigkeiten zu klären. Insgesamt sollte die Verantwortlichkeit in der Lieferkette vertraglich so verteilt werden, dass Risiken möglichst dort getragen werden, wo sie entstehen.

Produkte überwachen und Rückrufe planen

Bereits heute bestehen für viele Produkte Pflichten zur Produktbeobachtung und Gefahrenabwehr. Diese sollten angesichts der neuen Haftungsvorschriften noch ernster genommen werden. Unternehmen sollten effektive Monitoring-Systeme einrichten, um frühzeitig Produktmängel oder -gefahren zu erkennen, etwa durch Auswertung von Kundenreklamationen oder Feedback-Schleifen. Ebenso sind Notfallpläne für Produktrückrufe oder Sicherheitswarnungen erforderlich. Ein gut vorbereiteter Rückruf kann nicht nur Schäden bei Verbrauchern reduzieren, sondern auch im Haftungsprozess positiv berücksichtigt werden – ein durchgeführter Rückruf kann zwar einen Fehler indizieren, aber auch zeigen, dass der Händler verantwortungsbewusst reagiert hat.

Offenlegungspflichten berücksichtigen

Da im Streitfall nun erweiterte Beweisauskunftspflichten gelten, sollten Unternehmen frühzeitig für eine lückenlose Dokumentation sorgen. Alle produktrelevanten Unterlagen – etwa Prüfberichte, Konformitätserklärungen, Qualitätskontrollen, Chargennummern, Kommunikationshistorie mit dem Hersteller – müssen geordnet und zugänglich aufbewahrt werden. Im Haftungsprozess könnte ein Händler verpflichtet werden, solche Unterlagen vorzulegen. Wer hier vorgesorgt hat, kann zügig reagieren und zugleich seine Kooperation zeigen. Zudem empfiehlt es sich, internes Know-how aufzubauen, wie mit solchen Offenlegungspflichten umzugehen ist, ohne Geschäftsgeheimnisse unnötig preiszugeben – gegebenenfalls sollte rechtliche Beratung eingeholt werden.

Fokus auf digitale Produkte und KI

Unternehmen, die Software, vernetzte Produkte oder KI-basierte Systeme vertreiben, sollten besondere Sicherheitsvorkehrungen treffen. Da fehlende Software-Updates oder Cybersicherheitslücken nun explizit haftungsrelevant sind, muss ein Prozess etabliert werden, der Sicherheitsupdates schnell an Endkunden verteilt und bekannt gewordene Schwachstellen umgehend schließt. Händler sollten sicherstellen, dass sie vom Hersteller alle notwendigen Updates erhalten und diese an ihre Kunden weitergeben können. Falls der Händler selbst mitverantwortlich für Software im Produkt ist, muss er für laufende Wartung sorgen. Kurz: IT-Sicherheit und Update-Management werden Teil der Produktverantwortung.

Zusätzlich zu diesen Maßnahmen ist eine Schulung der Mitarbeiter ratsam. Vertriebs- und Serviceteams sollten die neuen Regeln kennen, um beispielsweise Warnsignale wie Produktmängelanzeigen ernst zu nehmen und korrekt zu eskalieren. Schließlich lohnt es, die weitere Rechtsentwicklung im Blick zu behalten – etwa Leitfäden der EU-Kommission, Umsetzungsgesetze in Deutschland oder branchenspezifische Auslegungen – um bis zum Inkrafttreten nationaler Gesetze bestens vorbereitet zu sein.

Betroffenheit ausländischer Händler: Geltung für Nicht-EU-Anbieter

Die neue Produkthaftungsrichtlinie entfaltet ihre Wirkung weltweit auf alle Produkte, die im EU-Markt angeboten werden – unabhängig davon, wo der Hersteller oder Händler ansässig ist. Dies bedeutet, dass auch Händler und Hersteller aus Ländern wie China oder den USA von den Regeln betroffen sind, sobald sie Waren in der EU vertreiben. Zwar kann ein EU-Mitgliedstaat seine Gesetze nicht direkt in China durchsetzen; jedoch sorgt die Richtlinie dafür, dass innerhalb der EU immer ein haftbarer Akteur vorhanden ist. Konkret: Wenn ein außerhalb der EU sitzender Produzent ein fehlerhaftes Produkt in die EU bringt, muss er einen Importeur oder Bevollmächtigten in der EU haben – andernfalls greift die Haftung auf den nächsten Beteiligten in der Lieferkette über, etwa einen Fulfillment-Dienst oder eine Plattform.

Für ausländische Händler heißt das: Wollen sie weiterhin den EU-Markt beliefern, kommen sie nicht umhin, EU-Standards und -Strukturen zu erfüllen. Praktisch sollten solche Unternehmen folgende Vorkehrungen treffen:

EU-Wirtschaftsakteur benennen

Jeder Nicht-EU-Hersteller sollte einen offiziellen Importeur in der EU einsetzen oder einen autorisierten Vertreter bestellen, der in der EU ansässig ist und als Ansprechpartner fungiert. Dieser wird im Ernstfall zur Haftung herangezogen. Viele ausländische Firmen haben bereits Tochtergesellschaften in Europa oder arbeiten mit Importeuren zusammen – diese Funktion wird nun noch wichtiger.

Compliance sicherstellen

Die Produkte müssen die strengen EU-Produktsicherheitsvorschriften einhalten, etwa die CE-Kennzeichnung, da ein Verstoß nicht nur Marktüberwachungsmaßnahmen auslösen kann, sondern nun auch ein Indiz für Produktfehler liefert. Ausländische Hersteller sollten daher Qualität und Sicherheit nach EU-Normen ausrichten. Insbesondere im Bereich Produktsicherheit und Dokumentation müssen sie so arbeiten, als wären sie ein EU-Hersteller, da ihre Produkte ansonsten über Haftungsumwege vom Markt verschwinden könnten – Importeure oder Plattformen werden unsichere Produkte meiden.

Kooperation mit EU-Partnern

Da ein ausländischer Händler selbst möglicherweise nicht direkt verklagt werden kann, sein EU-Importeur jedoch sehr wohl, ist es im eigenen Interesse, mit dem Importeur eng zu kooperieren. Dieser wird sonst Rückgriff auf den tatsächlichen Hersteller nehmen. Ausländische Firmen sollten vertraglich regeln, wie Haftungsfälle gehandhabt werden, und ihrem EU-Partner alle notwendigen Informationen liefern, um etwaige Ansprüche abzuwehren. Kurz gesagt: Gemeinsam vorsorgen, statt die Verantwortung dem EU-Partner zu überlassen.

Zwar gilt die Richtlinie formal nur innerhalb der EU, doch faktisch zwingt sie ausländische Marktteilnehmer zu Anpassungen, wenn sie am EU-Geschäft teilhaben wollen. Andernfalls riskieren sie, dass ihre Produkte wegen fehlender Verantwortlicher aus dem Verkehr gezogen werden. Online-Marktplätze in der EU werden beispielsweise darauf achten, dass Drittland-Anbieter einen EU-Sitz oder -Vertreter haben – andernfalls droht dem Marktplatz eigene Haftung, was er vermeiden wird. Die neuen Haftungsregeln schaffen also gleiche Wettbewerbsbedingungen: Ein Verbraucher soll unabhängig von der Herkunft des Produkts entschädigt werden können. Für ausländische Händler bedeutet dies mehr Investition in Compliance und Präsenz in der EU, um weiterhin sicher und erfolgreich in Europa verkaufen zu können.

Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Erfüllung der neuen Vorgaben (Checkliste)

Um die Anforderungen der neuen Produkthaftungsrichtlinie einzuhalten, sollten Händler und Hersteller systematisch vorgehen. Die folgende Checkliste bietet einen Überblick der wichtigsten Schritte:

Information und Zuständigkeiten klären

Machen Sie sich mit den Inhalten der neuen Richtlinie vertraut und identifizieren Sie, welche Rollen Ihr Unternehmen einnimmt. Sind Sie Hersteller, Importeur oder lediglich Distributor? Führen Sie eine Risikoanalyse für jedes Produkt durch. So erkennen Sie, wo Handlungsbedarf besteht – etwa bei Importprodukten aus Drittstaaten oder digitalen Komponenten.

Produktkonformität und Sicherheit sicherstellen

Überprüfen Sie Ihr Sortiment auf Einhaltung aller Sicherheitsvorschriften (Produktstandards, CE-Konformität, gegebenenfalls Cybersecurity-Anforderungen). Stellen Sie sicher, dass insbesondere vernetzte oder digitale Produkte regelmäßig Software-Updates erhalten und bekannte Sicherheitslücken geschlossen werden. Dokumentieren Sie alle Qualitätsprüfungen und Zertifizierungen. Ziel ist, das Auftreten von Produktfehlern präventiv zu vermeiden.

EU-Ansprechpartner für jedes Produkt festlegen

Stellen Sie für alle von Ihnen vertriebenen Produkte sicher, dass ein Wirtschaftsakteur in der EU benannt ist, der im Schadensfall haftet. Bei Eigenimporten aus Nicht-EU-Ländern sind Sie selbst dieser Akteur (Importeur) – registrieren Sie sich gegebenenfalls als solcher und informieren Sie Ihre Kunden entsprechend. Alternativ sorgen Sie dafür, dass der ausländische Hersteller einen Bevollmächtigten in der EU benennt. Überprüfen Sie zudem bei Ihren Lieferanten, ob diese ihren Pflichten nachkommen, etwa durch Angabe eines EU-Vertreters auf Produkt oder Verpackung.

Verträge in der Lieferkette anpassen

Aktualisieren Sie Verträge mit Herstellern, Lieferanten und Vertriebspartnern dahingehend, dass die Haftungsverteilung klar geregelt ist. Vereinbaren Sie, wer im Fall von Produktschäden welche Verantwortung trägt. Insbesondere bei Importen sollten Sie vom Hersteller vertragliche Garantien oder Freistellungen einfordern, um Ihr Risiko abzufedern. Klären Sie auch intern, wer für Produktbeobachtung, Meldungen und Rückrufe zuständig ist.

Überwachungs- und Rückrufprozesse implementieren

Etablieren Sie ein Produkt-Monitoring-System, um frühzeitig von Problemen zu erfahren, etwa durch Auswertung von Kundenfeedback oder Beobachtung von Online-Bewertungen. Legen Sie detaillierte Rückrufpläne fest: Wer entscheidet, wann ein Rückruf erfolgt? Wie informieren Sie Kunden und Behörden? Proben Sie den Ernstfall intern. So sind Sie vorbereitet und können im Schadensfall schnell reagieren.

Dokumentation und Beweissicherung organisieren

Richten Sie eine strukturierte Dokumentenverwaltung ein, die alle produktrelevanten Unterlagen umfasst – technische Spezifikationen, Testberichte, Zertifikate, Gebrauchsanweisungen, Chargenlisten, Kommunikationsprotokolle usw. Diese Dokumente sollten für mehrere Jahre, mindestens bis zum Ende der Haftungsfristen, archiviert sein. Entwickeln Sie ein Verfahren, um im Falle einer Klage die geforderten Nachweise zügig und geordnet vorlegen zu können. Eine lückenlose Dokumentation ist Ihre Verteidigungslinie, falls Sie einen Entlastungsbeweis führen müssen.

Versicherungsschutz überprüfen und anpassen

Kontaktieren Sie Ihre Haftpflichtversicherung und besprechen Sie die Änderungen durch die neue Richtlinie. Passen Sie Policen an, wo nötig – zum Beispiel hinsichtlich höherer Deckungssummen (keine Haftungsobergrenze mehr) und Einschluss von Daten- oder Folgeschäden. Klären Sie, ob auch Rückrufkosten und präventive Maßnahmen versichert sind. Gegebenenfalls lohnt sich eine zusätzliche Produkthaftungsversicherung für spezifische Risikoprodukte.

Mitarbeiter schulen und Umsetzung verfolgen

Informieren Sie relevante Mitarbeiter (Qualitätsmanagement, Kundenservice, Recht) über die neuen Haftungsvorschriften. Schaffen Sie Bewusstsein dafür, wie wichtig Produktbeobachtung und sorgfältige Dokumentation sind. Planen Sie regelmäßige Schulungen ein. Verfolgen Sie parallel die nationale Umsetzung der Richtlinie – in Deutschland bis Ende 2026 – und passen Sie Ihr Compliance-Programm an, sobald die genauen gesetzlichen Regelungen vorliegen.

Diese Checkliste dient als Leitfaden, um nichts Wesentliches zu übersehen. Jedes Unternehmen hat individuelle Gegebenheiten – daher sollten die Schritte an die eigene Situation angepasst werden. Wichtig ist, jetzt mit den Vorbereitungen zu beginnen, damit Sie bis zum Inkrafttreten der neuen Regeln optimal aufgestellt sind.

Zeitplan: Inkrafttreten und Übergangsfristen

Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie ist am 9. Dezember 2024 offiziell in Kraft getreten, nachdem sie am 18. November 2024 im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurde. Dies markiert den Start der zweijährigen Umsetzungsfrist: Bis zum 9. Dezember 2026 müssen alle EU-Mitgliedstaaten die Vorgaben in nationales Recht übertragen haben. In Deutschland bedeutet das voraussichtlich eine Neufassung des Produkthaftungsgesetzes bis Ende 2026.

Die Regelungen der neuen Richtlinie gelten jedoch nicht rückwirkend. Es wurde eine klare Übergangslösung definiert: Für alle Produkte, die vor dem 9. Dezember 2026 in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, bleibt das bisherige Recht anwendbar. Das heißt, ein Produkt, das heute bereits verkauft wird, unterliegt auch nach 2026 noch den alten Haftungsregeln, falls ein Schaden dadurch entsteht. Ab dem 9. Dezember 2026 (bzw. dem jeweiligen früheren Umsetzungsdatum in einzelnen Ländern) greifen die neuen Vorschriften für alle neu auf den Markt gebrachten Produkte. Unternehmen haben somit eine Übergangsfrist, um sich anzupassen. Der grobe Fahrplan in Stichpunkten:

  • Oktober 2024: Verabschiedung der Richtlinie durch das EU-Parlament und den Rat (finaler Beschluss am 23.10.2024).
  • November 2024: Veröffentlichung im Amtsblatt der EU (18.11.2024) und 20 Tage später formelles Inkrafttreten (9.12.2024).
  • 2025–2026: Phase der Rechtsumsetzung in den Mitgliedstaaten (Gesetzgebungsverfahren in den nationalen Parlamenten). Unternehmen nutzen diese Zeit idealerweise für Vorbereitungen.
  • Spätestens 9. Dezember 2026: Ablauf der Umsetzungsfrist – die neuen Bestimmungen müssen ab diesem Datum in allen EU-Ländern anwendbar sein. In Deutschland voraussichtlich Inkrafttreten eines aktualisierten Produkthaftungsgesetzes zu diesem Stichtag.
  • Ab 2027: Erste Anwendungsfälle der neuen Regeln in der Praxis für Produkte, die ab 12/2026 auf den Markt kamen. Alte Produkte weiterhin nach altem Recht.

Unternehmen sollten beachten, dass einige EU-Länder die Umsetzung eventuell früher abschließen könnten, während andere die Frist ausschöpfen. Eine vorausschauende Planung bis Ende 2026 ist daher essentiell – es bleibt zwar Zeit, aber die Anpassungen können je nach Unternehmensgröße und Produktspektrum umfangreich sein.

Länderspezifische Unterschiede in der Umsetzung

Die Produkthaftungsrichtlinie zielt auf eine weitgehende Vollharmonisierung der Haftungsregeln in der EU ab. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich keine schärferen oder milderen Haftungsmaßstäbe in ihr nationales Recht einführen dürfen, als in der Richtlinie vorgegeben. Alle wesentlichen Aspekte – von den definierten Schadenarten bis zum Kreis der Haftungspflichtigen – sollen EU-weit einheitlich geregelt sein, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Dennoch kann es bei der Umsetzung gewisse länderspezifische Nuancen geben. Die Richtlinie lässt in eng begrenzten Bereichen Spielraum für Abweichungen.

Ein wichtiges Beispiel ist der „Entwicklungsrisiko“-Ausschluss (Stand-der-Wissenschaft-Verteidigung): Die Richtlinie erlaubt Herstellern zwar, sich von der Haftung zu exkulpieren, wenn ein Produktfehler nachweislich nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Herstellzeitpunkt nicht erkennbar war – jedoch dürfen die Mitgliedstaaten entscheiden, diese sogenannte State-of-the-Art-Defense in ihrer Umsetzung nicht zuzulassen. Das heißt, einige Länder könnten dieses Haftungsprivileg streichen, wodurch Hersteller dort auch für unbekannte Risiken haften müssten, während in anderen Ländern der Entwicklungsrisikoeinwand gelten bleibt. Es ist zu erwarten, dass Deutschland das Entwicklungsrisiko weiterhin als Haftungsausschluss anerkennen wird, wie bisher im Produkthaftungsgesetz verankert, während andere Länder möglicherweise verbraucherfreundlicher entscheiden. Solche Unterschiede würden dann bedeuten, dass die Haftung in einzelnen EU-Staaten bei High-Tech-Produkten etwas unterschiedlich ausfallen kann.

Ein weiterer Bereich mit Umsetzungsspielraum sind verfahrensrechtliche Details. Die Richtlinie schreibt zwar die Einführung von Beweiserleichterungen und Offenlegungspflichten vor, überlässt aber den Ländern, wie sie dies prozessrechtlich ausgestalten. So haben Common-Law-Länder wie Irland oder Zypern bereits ausgedehnte Disclosure-Verfahren, während beispielsweise Deutschland oder Frankreich neue Regelungen schaffen müssen, da es dort ein solches umfassendes Beweisvorlageverfahren bislang nicht gibt. Die praktische Handhabung – etwa der Schutz von Geschäftsgeheimnissen bei der Beweisvorlage – könnte deshalb von Land zu Land variieren, obwohl die Pflicht an sich überall besteht.

Abgesehen von solchen Punkten wird der überwiegende Teil der Bestimmungen in allen EU-Staaten gleich sein. Natürlich müssen Unternehmen dennoch die nationalen Umsetzungsgesetze genau beachten, da diese in der Gesetzessystematik eingebettet sind, etwa in Deutschland ins BGB oder Produkthaftungsgesetz, in Frankreich in den Code Civil. Kleinere terminologische Unterschiede oder Anknüpfungen an nationales Recht sind möglich. Beispielsweise könnten die genauen Verjährungsfristen oder Formalitäten der Anspruchsgeltendmachung national unterschiedlich geregelt sein, sofern die Richtlinie dazu nichts Vollharmonisierendes vorschreibt. Auch die Frage, ob immaterielle Schäden, wie Schmerzengeld bei psychischen Schäden, in vollem Umfang ersatzfähig sind, könnte national differenziert gehandhabt werden – die Richtlinie lässt hier nur einen engen Rahmen zu, aber einige Länder könnten darüberhinausgehende Ansprüche über ihr allgemeines Deliktsrecht erlauben.

Fazit: Größere Abweichungen zwischen den EU-Ländern sind nicht zu erwarten, da der Kern der Produkthaftung nun europaweit angeglichen wird. Unterschiede könnten sich in Details zeigen, insbesondere beim Entwicklungsrisiko-Argument und prozessualen Fragen. Unternehmen sollten daher die konkrete Ausgestaltung in den für sie relevanten Ländern verfolgen. Im Zweifel ist es ratsam, sich an dem strengsten gemeinsamen Nenner zu orientieren – also die höchsten Schutzstandards zugrunde zu legen – denn damit ist man in jedem EU-Markt auf der sicheren Seite.