Wer regelmäßig Amazons Zahlen, also die Bilanzen, durchliest, der erkennt, dass Amazon mit der Lagerung und dem Versand eurer Waren nicht viel Geld verdient. Gerade in Europa scheint das schwer zu sein. Seit Jahren weist Amazon Verluste aus. Nicht aus steuerlichen Gründen, wie manche kolportieren mögen. Nun zieht Amazon bei den Händlern den Stecker: drastische Reduzierung der Anliefermengen in die FBA-Lager! Was ist passiert, wie könnt ihr euch helfen?
Warum die amerikanische FC-Strategie in Europa nicht passt
Die Einlagerung von Produkten in der EU ist teurer als in den USA. Die Flächen kosten mehr, Regularien und Vorschriften sind komplexer, sodass es dem Unternehmen schwer gemacht wird, zu skalieren. Zunächst hat Amazon seine FC nahezu ausschließlich 1-stöckig, wie in den USA, genutzt. Erst langsam wird erkannt, dass in der EU und gerade in Deutschland der Bau in die Höhe günstiger sein kann als die Erweiterung in der Fläche. Aktuell bedeutet das: Knappheit.
Die Gebühren sind nicht kostendeckend
Amazons Fulfillment-Gebühren reichen nicht aus. Jedenfalls, wenn ihr einen Blick in die Amazon Zahlen werft. Arbeiten wir mit dieser Annahme weiter, dann liegt es nahe, dass Händler selber kaum günstiger eine eigene Logistik betreiben können. Weshalb sie recht gerne und oft undiszipliniert die Möglichkeiten die Amazon ihnen bietet (aus-) nutzen.
Ergo: Die FC arbeiten ineffizient und der Handelsriese kommt in der EU mit dem Wachstum nicht hinterher. Die Grenzen bekamen wir alle bereits zu Beginn der Pandemie zu spüren. Ihr erinnert euch?
Amazon lernt und löst: Aber nicht aus Händlerperspektive, oder?
Aus Händlerperspektive ist die Herausforderung nicht gut gelöst, denn die neu eingeführte Kennzahl der ›Lagerbestandsmenge‹ schafft Begrenzungen und ›Out of Stock‹-Szenarien. Die Senkung des maximalen Lagerbestands an Produkten führt dazu, dass viele Händler befürchten, dass ihre Schnelldreher ausgehen und sie deshalb mit starken Umsatzeinbußen zu rechnen haben. Ein Nebeneffekt werden zu erwartende schlechtere Werte des LBI (= Lagerbestandsindex) sein, denn dieser berechnet sich auch aus der Abverkaufsrate.
Ergo: Aus dem Blickwinkel vieler Seller ist die Herausforderung schlecht gelöst. Kritisiert wierden die Gießkannenstrategie und fehlende rechtzeitige Informationen. Amazon sollte dringend die Kennzahlen verfeinern und seine Kommunikation anpassen.
Was bleibt also als Lösung?
Wenn Amazon seine Läger entlasten möchte und nicht bereit ist, die Kennzahlen neu zu denken, dann hilft nur eins: kostenlose Remission. Oder eine gebührenreduzierte Remission. Vielen Händlern ist es nämlich wirtschaftlich nicht möglich, ihre Artikel ins eigene Lager zu retournieren. Die Abgaben sind schlicht zu hoch!
Ein Tropfen auf den heißen Stein sind Amazons Empfehlungen, die ihr im Seller Central nachlesen könnt: »Sie können Ihre Lagerkapazität erhöhen, indem Sie Ihren Lagerbestand abverkaufen, die Remission bzw. Entsorgung von unverkäuflichen Produkten beantragen und offene, nicht dringende Sendungen stornieren. Beachten Sie, dass Auffüllbeschränkungen von mehreren Faktoren abhängen, darunter Prime Day-Angebote, neues Sortiment, Ihre Verkaufshistorie und -prognose, aktuelle Lagerbestände, Versandzeiten und verfügbare Kapazität im Logistikzentrum.«
»Unser Engagement für unsere Vertriebspartner war noch nie so gefestigt wie aktuell. Ihre Produkte machen inzwischen mehr als 60 % des Bestands in unserem europäischen Logistiknetzwerk aus. Wir haben 60 Fulfillment-Zentren und über 135.000 Mitarbeiter in Europa. Da wir weiterhin eine starke Nachfrage nach Fulfillment by Amazon von Vertriebspartnern sehen, verbessern wir die Lagereffizienz, um sicherzustellen, dass die Verkäufer die größtmögliche Auswahl über FBA anbieten können«, so ein Amazon-Sprecher gegenüber Wortfilter. Ein faires Statement. Aber die Umsetzung?!?
Tatsächlich werdet ihr euch selbst helfen müssen. »Wir bauen gerade ein Lager auf und versenden wieder selbst! Noch gehts, wenn aber die Schnelldreher in wenigen Wochen leerlaufen, wird es hier wohl heftig«, schreibt eine Verkäuferin. Ein nahezu unmögliches Unterfangen. Eine eigene funktionierende und wirtschaftliche Logistik aufzubauen dauert Zeit und ist nicht in wenigen Wochen zu bewerkstelligen. Genauso scheint es unrealistisch, einen anderen möglichen Weg zu gehen und den Versand an einen unabhängigen Fulfiller auszulagern. Auch das ist in der Kürze der Zeit kaum machbar.
Was wird passieren?
Die Angebote werden sich selbst substituieren. Schon zu eBay-Zeiten war aus Dreilinden zu hören: ›Wenn ein Verkäufer wegfällt, dann wird er durch einen anderen ersetzt‹. Und genau das kann passieren. Es wäre jedenfalls das Worst-Case-Szenario für betroffene Händler. ABER: Der Markt wird es schon richten …
Amazon, die Chaos-Bude
Zu glauben, Amazon agiert hier mit Machtgehabe oder böswillig, ist sicherlich falsch. Das Unternehmen ist Opfer seines eigenen Erfolgs und seiner eigenen Organisation. Hier werden Teams schlicht nicht an die Konsequenzen und Cases durch eine Reduktion der Lagerbestandsmenge gedacht haben.
(Händlermeinung)
Messen & partnerschaftlich korrigieren
Was jetzt zählt, ist, wie Amazon die Herausforderungen bei den Sellern messen, feststellen und reporten wird. Daran wird die Qualität der Partnerschaft mit den Händlern jetzt gemessen werden. Genau daran!
Und hier findet ihr Hilfen und Erklärungen zu den einzelnen Kennzahlen:
https://sellercentral.amazon.de/gp/help/help.html?itemID=XLRKWL8L5BMSHWB&language=de_De
Bild: Chris Ratcliffe/Bloomberg/Getty Images
Das Thema hat mich gerade 100.000€ Überbestandsgebühren gekostet:
https://sellercentral.amazon.de/forums/t/knapp-100-000-uberbestandsgebuhr-durch-fragwurdige-neuvermessung-eines-artikels/435732
Egal, was man meint, mit welcher Motivation Amazon agiert – es wird immer zu Gunsten Amazon gestaltet. Dazu das weitere Hauptziel: Kundenzufriedenheit.
Wenn man die Zahlen sieht, wäre Amazon ohne Marktplatzhändler sicher nicht der Gigant vor dem sich alle fürchten (müssen?). Warum dann die Händler alles mitmachen und sich auf Gedeih und Verderb an Amazon binden, ist merkwürdig. Aber es scheint so zu sein, dass jedem Händler, der Amazon den Rücken kehrt, immer viele andere folgen, die über Amazon anbieten wollen.
Es mag einfach sein, dort zu verkaufen, da man schnell anbieten kann. Aber auch ein eigener Shop ist relativ schnell erstellt und die juristischen Fallstricke sind dort genauso vorhanden wie auf Amazon.
Meine Privattheorie zu dem Desaster:
Mit der Änderung des S&L-Verfahrens ab 5.Mai haben sie sich gewaltig ins Knie geschossen und den Aufwand bei eingehenden Sendungen ver-viel-viel-facht. Das ist m.E. auch die Ursache, warum dauernd die max. Lagerplätze weiter gekürzt werden.
Beispiel:
Wir hatten bisher Kleinzeugs in Beuteln à 60 Stück angeliefert. Je Beutel
– 1* scannen
– 1 Lagerplatz
Jetzt schicken wir -gemäß genialer Anweisung- keine Beutel mehr, sondern alles lose und wild durcheinander. Für die gleiche Menge heißt es jetzt
– 60* scannen
– 60 Lagerplätze
Dauert jetzt alles 60* solange und verbraucht 60* soviel Lagerplatz.
Und wir sind weißgott nicht der Einzige mit S&L-Artikeln …
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Oder anders gerechnet:
Angenommen, 5% aller Artikel wären S&L. Und angenommen, alle hätten die kleinstmögliche Menge von 24 Artikel/Beutel geschickt.
Dann belegten diese Artikel(-Bundels) bisher 5% der Lagerplatzes.
Und jetzt, nach der neuen Policy? 5*24 = 120% (!!) des gesamten Lagerplatzes.
Schlau, nicht ?