Autodoc sagt Börsengang ab: 2,4 Milliarden sind zu wenig – Ein Rückzieher”
Was als eine der wenigen Erfolgsgeschichten im deutschen E-Commerce begann, findet vorerst nicht den erhofften Höhepunkt an der Börse: Autodoc SE hat seinen geplanten Börsengang kurzfristig abgesagt. Das Berliner Unternehmen wollte ursprünglich am 25. Juni 2025 im Prime Standard der Frankfurter Börse starten. Doch nur einen Tag zuvor zogen die Eigentümer – AutoTech GmbH & Co. KG und Accelerate Bidco GmbH – die Notbremse. Grund: Die Bewertung war ihnen zu niedrig.
2,4 Milliarden Euro: Zu wenig für 17 Jahre Aufbauarbeit?
Laut bisherigen Planungen sollte Autodoc mit einer Preisspanne von 58 bis 61 Euro je Aktie auf eine Bewertung von 2,3 bis 2,4 Milliarden Euro kommen. Ein starker Wert – doch offenbar nicht stark genug. Wie Wortfilter bereits in der Analyse “In 17 Jahren: Autodoc ist 2,8 Milliarden Dollar wert” darlegte, wäre ein realistischer Zielwert aus Sicht der Eigentümer wohl deutlich näher an der 3-Milliarden-Dollar-Marke anzusiedeln gewesen.
In der E-Commerce-Szene ist Autodoc seit Jahren ein Paradebeispiel für organisches Wachstum, profitable Prozesse und intelligente Skalierung. Noch 2023 erwirtschaftete das Unternehmen über 1,1 Milliarden Euro Umsatz – bei solidem Gewinn. Dass ein solcher Player wiederholt seinen IPO platzen lässt, zeigt vor allem eines: Der Kapitalmarkt traut Plattform-unabhängigen Modellen aktuell weniger zu als erwartet.
Das Timing war ambitioniert – vielleicht zu ambitioniert
Bereits die Ankündigung des IPOs Anfang Juni kam für viele überraschend. Nach Jahren der Zurückhaltung wollten die Eigentümer nun offenbar Kasse machen. Doch der Kapitalmarkt 2025 ist nicht mehr der gleiche wie 2021: Globale Unsicherheiten, hohe Zinsen, ein schwankendes Konsumklima und schlechte IPO-Erfahrungen der letzten Jahre lassen Investoren vorsichtiger agieren.
Ein IPO in diesem Umfeld ist nur dann erfolgreich, wenn das Pricing aggressiv auf die Seite der Investoren gelegt wird. Offenbar war das für Autodoc – trotz hoher Nachfrage – nicht akzeptabel.
Private Placement und Börsennotierung offiziell “verschoben”
In der offiziellen Ad-hoc-Mitteilung heißt es nüchtern:
“Autodoc SE und ihre Anteilseigner, AutoTech GmbH & Co. KG und Accelerate Bidco GmbH, haben heute beschlossen, die geplante Privatplatzierung und Börsennotierung von Autodoc SE zu verschieben. […] Ein Börsengang zu einem späteren Zeitpunkt bleibt weiterhin in Betracht.”
Ob und wann es zu einem neuen Anlauf kommt, ist unklar. Klar ist aber: Die Marke Autodoc wurde in den letzten Wochen stark ins Rampenlicht gerückt. PR und Medienarbeit rund um den Börsengang sorgten für Aufmerksamkeit – ein nicht ganz unbeabsichtigter Nebeneffekt?
Fulfillment trifft auf Finanzmarkt: Warum Autodoc trotzdem besonders bleibt
Wie Wortfilter in der Analyse “Autodoc – einer der wenigen eBay-Helden geht an die Börse” beschrieb, ist das Unternehmen ein Hidden Champion des Plattformhandels. Autodoc hat aus einer Nische – dem Onlinehandel mit Autoersatzteilen – ein europäisches Multichannel-Powerhaus gebaut. Ohne Venture-Kapital-Overkill, ohne Überhitzung.
Der geplatzte Börsengang ändert daran nichts. Aber er offenbart ein strukturelles Problem: Der Kapitalmarkt bevorzugt Plattformen, nicht Händler. Amazon-like Geschäftsmodelle sind leichter zu erklären als Unternehmen mit eigener Lagerlogistik, internationalem Kundenservice und Margen, die hart erarbeitet werden.
Was bedeutet das für andere Händler?
Der geplatzte IPO ist auch ein Signal an den E-Commerce-Mittelstand:
- Der Kapitalmarkt ist selektiv – Plattform-Aura zählt mehr als echte Handelsleistung.
- Bewertungen sind aktuell niedriger als viele denken – selbst bei Umsatzmilliardären.
- Wer externes Kapital sucht, braucht entweder enorme Skalierbarkeit oder Geduld.
Autodoc zeigt, dass Profitabilität alleine nicht reicht, um Investoren zu begeistern – zumindest nicht in einem nervösen Marktumfeld.
Fazit: Kein Scheitern, sondern kluge Zurückhaltung
Autodoc bleibt ein starkes Unternehmen – mit oder ohne Börsennotierung. Die Entscheidung, den IPO abzusagen, ist nicht Ausdruck von Schwäche, sondern von Kontrolle. Wer selbst entscheidet, wann und wie man an den Kapitalmarkt geht, zeigt Stärke.
Ob 2,4 Milliarden Euro zu wenig sind? Aus Investorensicht vielleicht nicht. Aber aus Sicht der Gründer und Betreiber offenbar schon.