Heutzutage hat jeder vierte Mitarbeiter innerlich gekündigt. Wie Chefs mit solchen “Unternehmensbewohnern” umgehen sollten und wie sie Mitarbeiter motivieren können, verraten drei Experten.
Während alle Arbeitskollegen leidenschaftliche Lösungsmöglichkeiten diskutieren, sitzt er schweigend am Tisch. Pünktlich um fünf Uhr lässt er den Stift fallen und verlässt das Büro. Und bei Feedbackrunden kann er nur nörgeln und motzen. Demotivierte Mitarbeiter sind Gift für das Team, das Projekt und die Firma selbst. Unternehmensbewohner gibt es überall – garantiert.
Laut dem Engagement Index des Meinungsforschungsinstitut Gallup, der jedes Jahr veröffentlicht wird, hat jeder vierte Mitarbeiter innerlich gekündigt. Professor Dieter Frey, Sozialpsychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, hält diese Zahl für realistisch. “Ich finde die Zahl sogar eher zu niedrig gegriffen”, sagt er. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ein Chef einen oder mehrere frustrierte Mitarbeiter im Team hat. Das muss das gesamte Team ausbaden: “Meistens müssen es eben die, die motiviert sind, kompensieren”, sagt Frey. Schlimmer noch: Der Frust ist ansteckend. Christian Grodau, Bereichsleiter IT des Münchner Telekommunikationsanbieter M-Net GmbH kennt die Situation. “Wenn ein Mitarbeiter dabei ist, der Gift verspritzt, muss man sich sofort damit auseinandersetzen”, sagt Grodau. “Mit ihnen muss man schnell reden, damit sich das nicht ausbreitet.”
Woher der Frust kommt
Demotivation kommt nicht plötzlich, sondern schleichend. “Die Ursachen können vielfältig sein”, erklärt Frey. “Der Mitarbeiter sieht keinen Sinn in der Arbeit, es ist ihm nicht klar, warum eine Aufgabe erfüllt werden soll und er hat keinen Spaß mehr daran.” Fehlende Freude könne natürlich auch am Mitarbeiter selbst liegen, fügt Frey hinzu. Des weiteren entstehe Demotivation, wenn sich ein Mitarbeiter zu wenig informiert fühle, kein Feedback oder Wertschätzung bekomme, keine Fairness erkennen könne, das Betriebsklima schlecht sei, und kein Vertrauen zu Vorgesetzten oder Kollegen herrsche, zählt der Sozialpsychologe auf. “Dabei kann sogar einer dieser Faktoren ausreichen.”
Der Chef ist schuld
Ist das gesamte Team völlig frustriert, sollte das einem Entscheider zu denken geben. “Ein toller Chef und viele demotivierte Mitarbeiter – diese Kombination habe ich noch nicht erlebt”, meint Grodau. Wer viele unwillige Mitarbeiter habe, der müsse seinen eigenen Führungsstil überdenken, glaubt er. Zu einem guten und motivierenden Führungsstil gehöre für ihn auch die Unterstützung seines Teams nach außen hin. “Ein Chef muss Rückgrat zeigen. Wer einen meiner Mitarbeiter angreift, greift automatisch mich an. Selbst wenn es innerhalb der Abteilung manchmal knirschen mag – wir sind ein Team, und ein Chef sollte das auch zeigen”, sagt Grodau. Sonst hängt der Teamsegen schnell schief.
Der Grund für negative Stimmung kann auch am Vorgänger liegen. “Oft versprechen Entscheider etwas, was sie nicht einhalten. Das frustriert sehr”, meint Grodau. Problematisch sei dies vor allem, wenn die Führungskraft wechsele – gerade in der IT keine Seltenheit. “Der alte Chef hat eine Zusage gemacht, die ich als Nachfolger nicht einhalten kann oder will. Das löst natürlich bei den Mitarbeitern Ärger aus”, sagt der M-Net-Mann. So etwas müsse aber angesprochen werden, um die Ursache herauszufinden.
Meistens jedoch ist die Situation nicht ganz so schlimm, oft hat nicht das ganze Team, sondern nur ein einzelner Kollege keine Freude mehr am Job. “Natürlich kommt es vor, dass ein Mitarbeiter private Probleme hat, etwa in der Ehe. Dann muss da vom Chef aus auch ein Verständnis dafür übermittelt werden, sonst frustriert das noch zusätzlich”, so Klaus Vogl, CIO der Werkstattkette Auto-Teile-Unger A.T.U. .
Selbst schuld am Frust
Es wäre zu einfach, die ganze Schuld beim Vorgesetzten zu suchen. Oft liege der mangelnden Motivation auch ein Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbild zugrunde, meint Grodau. “Als ich die Leitung des IT-Bereiches übernahm, hatte ich einen Projektmanager, der sich selbst für sehr gut hielt, es aber nicht war. Ich habe versucht, ihn mit Fakten davon zu überzeugen, an seinem Eigenbild zu arbeiten. Leider hat dies nicht funktioniert”, sagt der IT-Leiter von M-Net. In der Hälfte der Fälle gebe es bei demotivierten Mitarbeitern eben keine Einsicht. “Aber eine Aufgabe als Chef ist es eben auch, mit der Mannschaft klarzukommen, die man hat, und sie auch weiterzuentwickeln.”
Aus solchen Erzählungen den Schluss zu ziehen, dass man als Vorgesetzter nichts tun könne, wäre jedoch falsch. Dennoch geht unter einigen Chefs die These, dass man seine Mitarbeiter nicht motivieren könne – schließlich ist die Motivation immer intrinsisch. Sozialpsychologe Frey hält das für ein Pauschalurteil: “Keineswegs ist Motivation nur intrinsisch, sie kann natürlich auch extrinsisch sein. Meistens ist es ein sowohl-als-auch.” Umgekehrt glauben viele Führungskräfte, dass es sehr leicht sei, Mitarbeiter zu demotivieren. Davon hält Grodau wenig. “Ich glaube, das geht in beide Richtungen gleich schnell. Ich baue mir ein Team, das an die Sache glaubt. Ein launischer Satz demotiviert nicht sofort den Mitarbeiter”, ist er überzeugt.
Egal, ob der alte Chef, der Mitarbeiter oder man selbst als Vorgesetzter die Demotivation verursacht – findet sie statt, müssen sich Führungskräfte drum kümmern.
Wie Chefs mit ihnen umgehen sollten
Grundsätzlich gebe es zwei Möglichkeiten, mit demotivierten Mitarbeitern umzugehen: Entweder man könne gemeinsam eine Lösung für das Problem finden – oder man müsse sich trennen, sagt Grodau. Zunächst sei es am Chef, eine Ursachenanalyse zu betreiben, sagt Frey. Dann folgt das, was gute Führung ausmacht: Ein Vorgesetzter sollte mit seinem Mitarbeiter sprechen. “Was muss im Rahmen von veränderbaren Welten passieren, dass die Arbeit wieder Freude breitet? Das sollte ein Chef mit einem demotivierten Mitarbeiter besprechen”, sagt er. Nur in einem Gespräch könne man herausbekommen, wo man den Hebel ansetzen solle, oder gleich vorbeugend wirken. “Prävention spielt meiner Ansicht nach die wichtigste Rolle” sagt ATU-CIO Vogl. “Wenn wir merken, dass ein Kollege frustriert ist, dann sprechen wir das an, das gehört für uns zum Miteinander dazu.”
Ein solches Gespräch ist natürlich nicht einfach: “Ich gehe in so einem Fall immer über die Fakten. Auf keinen Fall darf man emotional werden”, sagt Grodau. Sei ein Mitarbeiter demotiviert, stimmten meistens auch die Zahlen nicht. Projekte würden nicht erfolgreich zu Ende gebracht oder der Umgang mit den Kollegen sei unangebracht. Das müsse thematisiert werden. “Wenn man diese Fakten anspricht, dann sehen die Mitarbeiter in der Hälfte der Fälle auch ein, dass etwas im Argen liegt”, sagt Grodau. Gemeinsam würden dann Lösungen gesucht. “In einem Fall habe ich etwa das Aufgabengebiet eines Kollegen angepasst”, gibt der IT-Leiter ein Beispiel. “Er war fachlich und intellektuell sehr gut, aber frustriert, weil das Aufgabengebiet nicht zu ihm gepasst hat.” Ein neuer Zuschnitt brachte die Lösung.
Überhaupt verfolgt Grodau gern den systemischen Ansatz: “Wenn man den Mitarbeiter aus seinem Trott herausreißt und eine “Störung” ins System bringt, kann das schon enorm helfen”, erklärt er. “Eine neue Tätigkeit bringt oft neue Motivation mit sich.”
Nicht gleich kündigen
Haben die Gespräche nicht gefruchtet, muss man dann immer sofort eine Trennung in Erwähnung ziehen? “Eine Kündigung kann ja nur die letzte Stufe sein. Erst sollte man alle Möglichkeiten ausgelotet haben und versucht haben, den Menschen aus der inneren Kündigung heraus zu bringen”, mahnt Sozialpsychologe Frey an. “Jeder hat mal Phasen, in denen er demotiviert, gefrustet oder gar verärgert ist. Das muss man den Menschen auch lassen”, sagt er. Zudem ist eine Kündigung teuer und das nicht nur im monetären Sinne. “Die Beobachter sehen sehr wohl, wie ein Chef mit jemandem umgeht, der demotiviert ist, ob man also alles versucht, ihn wieder ins Boot zu holen, oder ob man vorschnell kündigt”, sagt Frey. Eine zu rasch ausgesprochene Kündigung kann andere Mitarbeiter in die Demotivation treiben.
Lob, Authentizität und Sinn
Aufgabe einer Führungskraft ist es nicht nur, Demotivation zu verhindern, sondern auch für Motivation zu sorgen. Die Goldene Regel der Führung gilt auch hier: “Man muss mehr Sinn vermitteln, mehr loben, Feedback geben und besser mit dem Mitarbeiter kommunizieren”, rät Wissenschaftler Frey. “Ich denke, es kommt darauf an, dass ein Chef seine Abteilungen authentisch führt und kollegial ist”, pflichtet Vogl ihm bei. “Wir achten sehr aufeinander, das verhindert, dass ein Mitarbeiter in die Demotivation abrutscht.”
Dazu gehört auch eine klare Zielvermittlung, etwa im Jahresendgespräch. “Es geht auch darum, dass man Erfolge feiern darf, dass man Ziele in Teilziele zerlegt, so dass Menschen auch Teilerfolge haben, und sich daran freuen und so selbst motivieren können”, sagt Frey. So hält es auch der ATU-CIO: “Ich führe nach Zielen, die zwei Mal im Jahr hinterfragt und angepasst werden. So kann es nicht zu Frust kommen, weil wir das mit dem Team besprechen”, sagt Vogl. “Ich kann es nicht allen Recht machen, das ist klar. Aber ich kann transparente und authentische Entscheidungen treffen”, sagt er.
Nicht nur die Projektziele können ein Motivationsinstrument sein, sondern auch die Unternehmensziele, meint Grodau. “In der IT sind die Mitarbeiter sehr gut ausgebildet. Wenn sie verstehen, warum sie ein Projekt durchführen, sind sie motivierter.”
Konsequent sein
Für die Motivation hält Grodau es für wichtig, konsistent und vor allem konsequent in seinem Handeln als Chef zu sein. “Um meine High-Performer nicht zu demotivieren, muss ich als Chef auch Schlechtleistung sanktionieren”, erklärt er. Es sei extrem wichtig, dass diejenigen im Team, die sich der Leistung verweigerten, nicht gleich behandelt würden wie die Top-Performer. Gleichzeitig heiße das nicht, dass jedes Team nur aus Top-Performern bestehen kann, fügt er hinzu. In jedem Team gebe es wie in der Gaußschen Normalverteilung einige Super-Leute, viele gute Mitarbeiter und einige, die unter dem Durchschnitt lägen. “Aber es muss ja jemanden geben, der den letzten Platz belegt. Auch diese Mitarbeiter muss man genauso respektieren wie alle anderen auch”, betont Grodau. Trotzdem könne es für High Performer demotivierend sein, wenn die absichtlichen Minderleister nicht sanktioniert würden.
Ab einem gewissen Level motiviert Geld nicht mehr
In Zeiten knapper Personalbudgets stellt sich die Frage: Kann Geld motivieren? “Ich glaube, dass man Mitarbeiter über Inhalte bekommt und nicht über das Gehalt”, meint Grodau. “Geld ist kein Motivationsmedium. In der IT sind die Gehälter ohnehin schon hoch – da kommt es meist nicht auf kleinere Beträge an”, sagt er. Eine echte innere Motivation sei so nicht zu bekommen. Ein Problem sei es schon eher, wenn das Gehaltsgefälle innerhalb des Teams hoch sei. “Geld spielt dann eine Rolle, wenn sich Leute unterbezahlt fühlen, und dann kann es in der Tat motivieren”, stimmt Frey zu. “Ab einem gewissen Level ist es kein Motivator mehr.” Der IT-Leiter setzt daher auch Prämien eher sparsam ein. “Da darf keine Erwartungshaltung entstehen, dass nach jedem Projekt eine Prämie kommen muss. Es demotiviert dann eher, wenn sie dann einmal nicht erfolgt”, sagt Grodau.
Viel wichtiger seien ihm als Motivation gemeinsame Erlebnisse. “Einmal im Jahr fahre ich mit der Mannschaft auf eine Berghütte. Das ist ein Dankeschön an meine Mitarbeiter. Das gemeinsame Erleben stärkt zudem den Zusammenhalt im Team”, sagt er. Als weitere Motivationsinstrumente sieht er eine flexible Arbeitszeitgestaltung, Fortbildungen, Seminare oder besondere Erlebnisse, etwa einen Mitarbeiter auf eine Konferenz zu schicken. “Das ist eine besondere und einmalige Würdigung seiner Leistung”, sagt er. “Noch besser ist es, eine Kultur zu schaffen, wo es um Vertrauen, Anerkennung, Fairness und Zielklarheit geht”, rät Frey. Mehr könne eine Führungskraft nicht tun, um dem Frust den Kampf anzusagen.