Die ganze Online-Bubble spricht über Omnichannel, KI, Temu, Verkaufspsychologie und toten Shops. Doch können wir da noch außerhalb von Marktplätzen was reißen? Oder ist der E-Commerce doch am Ende?
Nein. Wir sind lediglich an einem Punkt, den wir aus dem Offline-Verkauf schon kennen: Den Paradigmenwechsel in der Verkaufsstrategie.
Bislang haben wir Hardselling betrieben. Da reichte es aus Traffic auf den Shop zu schicken, ein paar verkaufspsychologische Tricks anzuwenden, an den Texten und Bildern zu drehen und ab dafür.
Der Markt und das Kundenverhalten haben sich gedreht. Jetzt muss der Online-Handel reagieren und verstehen, wie Kunden kaufen (wollen) und sich darauf einrichten.
Wir wollen heute einen Praxiscase aus dem B2C Bereich vorstellen, bei dem wir untersucht haben, wie Kunden sich verhalten, wenn sie eine Waschmaschine kaufen wollen und den Verkaufsprozess darauf angepasst haben.
Der Kunde
Das 125 Jahre beständige und global tätige Familienunternehmen für Haushaltswaren verkauft hauptsächlich mittels Händler und möchte auf der eigenen Webseite den Online-Verkauf steigern. Die Kaufrate bei Besuchern betrug unter 1% und sollte möglichst verdoppelt werden.
Trotz gängiger Marketingstrategien kamen zwar ausreichend Besucher in den Online Shop, konnten allerdings durch die klassische Produktdarbietung nur wenige Kunden verzeichnet werden.
Der Shop war tatsächliche ein Shop, wie man ihn kennt: Filtersucher, Produktdetailseiten, die üblichen Hinweise und Siegel – handwerklich also erstmal ordentlich gemacht. Zugegeben: Die Produktbeschreibungen waren unterirdisch, denn Artikelnummern und Produktnamen (X/Z 301/L) machten keinen guten Eindruck. Am Ende hätte eine Änderung aber nicht den riesigen Impact gehabt.
Das Konzept
Die Verhaltens-Analyse ergab, dass es sich bei der Zielgruppe um ein Verhaltensmuster handelt, welches sehr vergleichend, recherchierend und informationsbedürftig ist. Kunden haben in der Regel 4-6 Anbieter und Modelle, die sie miteinander vergleichen. Dabei suchen sie intensiv nach Praxisrelevanz.
Käufer sind auf der Suche nach dem besten Angebot in Form von Service, Features und Ansprache. Sie wollen das Produkt verstehen und verstanden werden. Beispiel: 8kg Wäsche? Wie viel sind 8 kg?
Die Kunden kaufen nicht wegen des Preises, sondern trotz des Preises, wenn sie gut abholt werden. Die Analyse ergab zudem, dass sie sogar bereit sind, mehr Geld auszugeben, als sie ursprünglich geplant haben.
Zudem hat die Analyse ca. 30 Fragen der Kunden identifiziert, die sie zum finalen Kaufentscheid beantwortet haben müssen.
Zum aktuellen Zeitpunkt suchten sich Kunden diese Antworten selbstständig im gesamten Internet, wie Foren, Social Media, Wettbewerbsseiten, Marktplätzen und Vergleichsportalen. Das verringerte die Chance, dass Besucher auch tatsächlich bei diesem Unternehmen Kunden wurden.
Es wurde eine separate Landingpage erstellt, die unter anderem einen Konfigurator beinhaltet, der den Kunden exakt diese Frage stellt. Nach Durchlauf wurden dem Kunden drei passende Modelle angezeigt. Die Frage nach dem Budget wurde hierbei zwar auch gestellt, allerdings wurden auch Modelle gezeigt, wenn sie inhaltlich perfekt passen, aber eben teurer waren (etwas, was leider klassische Filterfunktionen vollkommen ausschließen).
Die Landingpage war ellenlang. Der User musste, wenn er sich alles anschauen wollte, minutenlang damit beschäftigen und viel scrollen. Dabei wurden nicht nur die klassischen Benefits besser herausgearbeitet, sondern sich intensiv mit Kaufmotiven und Kundeneinwänden beschäftigt. Das sorgte dafür, dass es wohl die längste Landingpage der Welt wurde.
Das Konzept der Landingpage, die zusätzlich noch weitere Informationen (einspielend auf Kaufmotive und Einwände) wurde zunächst durch Urteilsverzerrungen der Mitarbeiter abgelehnt, diese konnte dennoch durch datengetriebene Tests abgebaut werden.
Hat der Kunde sich für eine der drei angezeigten Waschmaschinen entschieden, wurde er auf die bereits existierende Checkout-Seite des Unternehmens geleitet, auf der er hürdenlos seinen Einkauf abschließen konnte.
Das Ergebnis
50% der Besucher, die auf eine Google-Ads-Kampagne zu Waschmaschinen reagiert haben, wurden auf die neue Landingpage geleitet. 92% der Besucher, die dort den Waschmaschinen-Konfigurator gestartet hatten, haben ihn auch abgeschlossen. Insgesamt haben 83% derer auch eine Waschmaschinen gekauft. Die Bereitschaft der Kunden über das vorher erdachte Budget war deutlich erhöht.
Der Traffic wurde zu gleichen Teilen verteilt, um die alte Seite gegen die neue zu testen. Die alte Seite hatte eine Kaufrate von unter 1%. Die neue Seite ging mit ihren 83% somit als klarer Sieger hervor.
Was waren die Hürden?
Ein Projekt, was sicherlich in sechs Monaten hätte abgeschlossen werden können, entpuppte sich relativ schnell zu einer Ansammlung von Bedenkenträgern.
Die Vorgehensweise war zwar absolut datengetrieben und kundenzentriert, dennoch aber vollkommen unüblich. Allein die Tatsache, dass 30 Fragen gestellt werden sollten, fand großen Widerstand. Da herrschte die Meinung, dass User max. 5 Fragen auf einer Seite beantworten.
Ebenso durfte eine Seite nicht so unfassbar lang sein – der Kunde sollte so schnell wie nur möglich zum Produktkauf geführt werden.
Meinungen und Bias sind das schwierigste, auf das man treffen kann.
Denn: die Daten waren eindeutig. Kunden, die eine Waschmaschine kaufen haben etliche Fragen. Fragen, die mit der aktuellen Filterfunktion nicht mal ansatzweise abgedeckt werden. Zudem haben sie einen innerlichen Entscheidungsprozess, der deutlich mehr Zeit benötigt, als beim Kauf einer Büroklammer. Also Finger weg von drängenden Manipulationsversuchen und einem blitzschnellen Verkaufsprozess.
Das einzufangen und durchzusetzen hat knapp 2 Jahre gedauert. Für das Ergebnis hat es sich aber gelohnt.
Sind 83% nicht ein bisschen geschummelt oder übertrieben?
Nein. Der Fokus auf Kundenkaufverhalten plus eine stumpf datengetriebene Vorgehensweise ermöglicht eine Kaufrate zwischen 60-80%. Dazu sind manchmal »unübliche« Wege zu gehen – ja.
Wie das aussieht ist abhängig vom Produkt – etwas, was im E-Commerce noch keine Berücksichtigung findet und das eigentliche Erfolgsrezept ist: Finde heraus, wie Kunden ein spezielles Produkt kaufen wollen und passe danach den Verkaufsprozess an.
Setzen Sie es auch für sich um:
Wenn Sie das für sich selbst lernen und umsetzen wollen, dann kommen wir gerne für einen Workshop zu Ihnen. Da schauen wir uns Ihre Produkte an und entwickeln zusammen Verkaufsstrategien. Für nähere Informationen, Fragen und Kontakt gerne eine Mail an: [email protected]
2 Jahre für einen A/B Test???
Nicht deine Ernst oder
Doch. Leider ja. In meiner Welt wäre das in drei Monaten erledigt gewesen, vielleicht auch ein halbes Jahr. Der Gegenwind war einfach zu stark.