🧮 Artikel zusammenfassen oder weiterdenken
- Plattformhaftung bei Amazon: Wettbewerbszentrale klagt erneut
- Hintergrund des Verfahrens
- Was passiert ist
- Der Streitpunkt
- Von „Take Down“ zu „Stay Down“ – was sich ändert
- Frühere Rechtsprechung stärkt die Argumentation
- Warum der Fall so wichtig ist
- Für Plattformen
- Für Händler
- Für den Wettbewerb insgesamt
- Internationale Herausforderungen
- Signalwirkung über Amazon hinaus
- Was bedeutet das für Händler?
- Fazit
Plattformhaftung bei Amazon: Wettbewerbszentrale klagt erneut
Die Wettbewerbszentrale hat beim Landgericht Frankfurt am Main Klage gegen Amazon eingereicht. Es geht um die Frage: Muss Amazon nach Hinweisen auf Wettbewerbsverstöße künftig auch proaktiv ähnliche Rechtsverletzungen verhindern?
Im Kern steht damit die sogenannte Plattformhaftung im Fokus. Sollte das Gericht die Verantwortung Amazons bejahen und erweitern, hätte das Folgen – nicht nur für Amazon, sondern für alle anderen Plattformen.
Hintergrund des Verfahrens
Was passiert ist
Auslöser der Klage sind wettbewerbswidrige Angebote auf dem Amazon Marketplace. Drittanbieter hatten Produkte mit irreführenden Angaben beworben. Zum Beispiel mit veralteten Energieeffizienzklassen wie „A++“ oder mit dem Begriff „wasserdicht“, obwohl tatsächlich nur ein Spritzwasserschutz bestand.
Nach Hinweisen der Wettbewerbszentrale entfernte Amazon die betroffenen Angebote. Doch nur kurze Zeit später tauchten erneut gleichartige Verstöße auf. Genau das brachte die Wettbewerbszentrale auf den Plan, Amazon zu verklagen.
Der Streitpunkt
Nach Auffassung der Wettbewerbszentrale hätte Amazon nicht nur die ursprünglichen Inhalte löschen („Notice and Take Down“), sondern auch künftige Wiederholungen verhindern müssen („Notice and Stay Down“).
Damit steht die Frage im Raum, ob Plattformbetreiber künftig eine aktive Verantwortung tragen, gleichartige Verstöße eigenständig zu erkennen und zu unterbinden – also nicht erst dann zu reagieren, wenn jemand sie meldet. Und genau das wäre aus Sellerdicht abzufeiern.
Von „Take Down“ zu „Stay Down“ – was sich ändert
Das bekannte Prinzip „Notice and Take Down“ bedeutet: Plattformen müssen gemeldete Verstöße nach einem Hinweis entfernen. Doch das reicht der Wettbewerbszentrale nicht mehr.
Beim erweiterten Prinzip „Notice and Stay Down“ wird von Plattformen verlangt, vergleichbare Verstöße in Zukunft eigenständig zu verhindern. Einmal erkannt, muss die Plattform dafür sorgen, dass der gleiche oder ein ähnlicher Verstoß nicht erneut auftaucht.
📊 Fakten zur Klage gegen Amazon
Verfahrensbeteiligte | Wettbewerbszentrale vs. Amazon |
Gericht | Landgericht Frankfurt am Main |
Kernfrage | Pflicht zum „Notice and Stay Down“ – muss Amazon künftig ähnliche Verstöße proaktiv verhindern? |
Rechtsgrundlage | UWG (Wettbewerbsrecht), Plattformhaftung im E-Commerce |
Vorinstanzliche Haltung | OLG Frankfurt bejahte bereits 2023 eine erweiterte Prüfpflicht (Az. 6 U 154/22) |
Bedeutung | Grundsatzurteil zur Haftung von Plattformen – Signalwirkung für eBay, Temu und Shein möglich |
Erwartete Entscheidung | Im Laufe des Jahres 2025; ggf. Weiterzug bis zum EuGH (bei Bezug zum DSA) |
Dieses Modell soll laut Wettbewerbszentrale für mehr Fairness im Onlinehandel sorgen. Denn derzeit profitieren Händler, die rechtswidrige oder irreführende Angaben machen, häufig davon, dass Plattformen nur auf Meldungen reagieren. Rechtskonforme Händler hingegen müssen zusehen, wie sich Wettbewerber immer wieder illegale Vorteile verschaffen.
Frühere Rechtsprechung stärkt die Argumentation
Bereits Ende 2023 hatte das Oberlandesgericht Frankfurt in einem ähnlichen Verfahren entschieden, dass Amazon eine erweiterte Prüfpflicht trifft (Az. 6 U 154/22). Nach Ansicht des Gerichts muss Amazon nicht nur auf Meldungen reagieren, sondern auch gleichartige Verstöße proaktiv verhindern.
Eine höchstrichterliche Klärung blieb jedoch aus, da Amazon kurz vor Abschluss des Revisionsverfahrens seine Unternehmensstruktur änderte und das Verfahren damit erledigt war.
Mit der neuen Klage greift die Wettbewerbszentrale diesen Punkt wieder auf. Ziel ist ein Grundsatzurteil, das verbindlich festlegt, in welchem Umfang Plattformen wie Amazon künftig haftbar sind, wenn Dritte gegen Wettbewerbsrecht verstoßen.
Warum der Fall so safe wichtig ist
Für Plattformen
Wenn das Gericht eine Pflicht zur „Stay Down“-Prüfung bejaht, müssten Plattformen künftig deutlich stärker eingreifen. Das bedeutet:
- Einrichtung automatischer Filtersysteme zur Erkennung gleichartiger Verstöße
- Ausbau interner Compliance-Strukturen
- Überwachung von Angebotsdaten auch nach Löschung eines gemeldeten Verstoßes
Damit würden Plattformen nicht mehr nur als neutrale Vermittler fungieren, sondern zu aktiven Prüfinstanzen im Wettbewerb.
Für Händler
Auch Händler wären betroffen – vor allem durch strengere Kontrollen.
- Entlastung der Wettbewerbsbeobachtungen
- Wiederholte Verstöße könnten zu Sperrungen oder dauerhaften Ausschlüssen führen.
- Einfache Meldemöglichkeit an die Plattform
Gerade für kleinere Händler bedeutet das: Weniger Aufwand bei der Beobachtung des Wettbewerb Umfeld. Weniger Abmahnungen. Einfache Meldemöglichkeit.
Für den Wettbewerb insgesamt
Die Wettbewerbszentrale argumentiert, dass ohne klare Plattformhaftung ein ungleicher Wettbewerb entsteht. Europäische Händler müssen sich an strenge Vorgaben halten, während Anbieter aus Drittstaaten mit falschen Angaben weiterhin Vorteile erzielen können – und das auf denselben Marktplätzen.
Ein konsequentes „Stay Down“-Prinzip könnte hier für mehr Gerechtigkeit sorgen – auch wenn es Plattformen und Händler gleichermaßen fordert.
Internationale Herausforderungen
Ein besonderer Knackpunkt liegt bei Drittanbietern aus dem Ausland. Viele von ihnen haben keine juristische Präsenz im europäischen Rechtsraum. Wird ein solcher Händler abgemahnt oder verurteilt, lässt sich das Urteil oft kaum durchsetzen.
Deshalb rücken Plattformen selbst in den Fokus. Sie sind die einzige Instanz, die effektiv sicherstellen kann, dass rechtskonforme Strukturen eingehalten werden. Und weil Plattformen wie Amazon die Probleme verursacht haben, müssen sie auch die Suppe auch auslöffeln.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Amazon müsste in Zukunft erkennen können, wann ein Angebot „gleichartig“ zu einem bereits gelöschten Verstoß ist. Dafür wären KI-basierte Systeme, Mustererkennung und umfangreiche Datenanalysen nötig.
Die Frage lautet also nicht nur, ob Amazon verantwortlich ist – sondern auch, wie diese Verantwortung technisch umgesetzt werden kann. Aber diese Fragen sollten Seller nicht beschäftigen. Das sind Amazons Probleme.
Bedeutung für andere Plattformen & Marktplätze
Der Fall hat das Potenzial, über Amazon hinaus Wirkung zu entfalten. Sollte das Landgericht Frankfurt der Wettbewerbszentrale Recht geben, müssten auch andere Plattformen wie eBay, Temu oder Shein ähnliche Pflichten umsetzen.
Das wäre ein Paradigmenwechsel im Plattformgeschäft: von reaktiver Moderation zu präventiver Kontrolle. So hätte es eigentlich von Angang an sein sollen.
Gleichzeitig könnte das Verfahren auch europarechtliche Dimensionen annehmen. Wenn Fragen zur Auslegung der Digital Services Regulation (DSA) berührt werden, wäre sogar ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof denkbar.
Damit geht es hier nicht nur um deutsches Wettbewerbsrecht, sondern um die Grundsätze digitaler Verantwortung im europäischen Binnenmarkt.
Einordnung
Die Klage gegen Amazon ist ein Lackmustest für die Zukunft der Plattformhaftung. Bislang galt: Plattformen müssen handeln, wenn sie auf Verstöße hingewiesen werden. Künftig könnte gelten: Plattformen müssen auch aktiv dafür sorgen, dass Verstöße gar nicht erst wiederkehren.
Für Amazon wäre das ein massiver Eingriff in die eigene Geschäftsstruktur (gut so). Für Händler könnte es gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen.
Der Streit zwischen Amazon und der Wettbewerbszentrale ist aber auch wichtig für den E-Commerce. Es geht um die Grundsatzfrage, wie viel Verantwortung Plattformen im Onlinehandel tragen müssen.
Sollte das Landgericht Frankfurt eine „Stay Down“-Pflicht bejahen, wäre das ein Wendepunkt im E-Commerce: Plattformen müssten aktiv handeln, anstatt nur zu reagieren.
Für Händler bleibt die Botschaft klar: Wer sauber arbeitet, hat wenig zu befürchten. Wer sich auf Grauzonen verlässt, dürfte es künftig deutlich schwerer haben. Und faire Händler werden in ihrem Kampf gegen schlechte Wettbewerber entlastet.
