BFSG-Abmahnungen: Das dreckige Spiel der Kanzleien – und warum Händler diesmal nicht mitspielen sollten
Es ist soweit: Die erste Abmahnung wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist in der Welt. Und wie immer, wenn irgendwo im E-Commerce ein neuer rechtlicher Aufhänger wie eine Sau durchs Dorf getrieben wird, tauchen sie auf wie Aasgeier am Kadaver: die üblichen Onlinehändler-Kanzleien.
Allen voran Internetrecht Rostock, flankiert von der IT-Rechtskanzlei München (die sicher bald noch aufspringen wird) und nicht zu vergessen der Händlerbund, der schon wieder die Frage stellt, ob die nächste Abmahnwelle rollt.
Natürlich rollt sie – weil Händler sich seit Jahren freiwillig melken lassen.
Und weil es nicht nur die Abmahner selbst gibt, sondern auf der anderen Seite eine ganze Industrie von Verteidigerkanzleien, die sich um jedes neue Schreckgespenst reißen. Und sie sind nicht besser als die Abmahnanwälte.
Das Muster ist immer gleich – und ekelhaft
Das Drehbuch ist alt und abstoßend einfach:
- Ein Abmahner-Anwalt findet oder konstruiert einen angeblichen Rechtsverstoß.
- Es werden massenhaft Schreiben verschickt, oft ohne echte Substanz, Hauptsache Angst schüren.
- Verteidiger-Kanzleien springen auf und posten in Foren, Facebook-Gruppen oder auf anwalt.de ihre „Rechtstipps“.
Unter dem Deckmantel der Aufklärung geht es aber vor allem darum, Mandate abzugreifen. - Die Händler geraten in Panik und rufen sofort „ihren“ Anwalt an – statt erst einmal zu prüfen, ob die Abmahnung überhaupt Substanz hat.
Dieses Theater erleben wir jedes Jahr mit neuem Thema: DSGVO, VerpackG, OS-Link, Markenrecht, Preisangabenverordnung – und jetzt eben BFSG. Sandhage sei dank!
BFSG – der neue Goldesel
Und jetzt kommt der eigentliche Hammer: Für die allermeisten kleinen Händler gilt das BFSG überhaupt nicht!
Die Schwellenwerte und Ausnahmen im Gesetz sorgen dafür, dass nur Unternehmen ab einer gewissen Größe oder mit bestimmten Produkten, Umsatz- bzw. Mitarbeiterzahlen betroffen sind.
Sowohl Internetrecht Rostock als auch der Händlerbund haben es „versäumt“, diesen entscheidenden Punkt überhaupt zu erwähnen.
Warum? Weil es nicht ins Geschäftsmodell passt.
Anstatt den ersten Schritt einer klaren Selbstprüfung (Hier geht’s zur Anleitung) zu empfehlen – etwas, das jeder Händler in fünf Minuten allein erledigen könnte – wird direkt die „anwaltliche Beratung“ ins Spiel gebracht.
Schäbig ist noch nett formuliert. Hier wird bewusst Panik geschürt, um das Maximum an Mandaten und Mitgliedschaften abzugreifen.
Und die Verteidiger-Kanzleien? Keine Helden – sondern Mitspieler
Wer jetzt denkt, die Verteidigerseite sei die gute Seite der Macht, irrt gewaltig.
Denn auch hier geht es ums Geschäft – nicht um Gerechtigkeit.
Beispiel Internetrecht Rostock:
Kaum liegt die erste BFSG-Abmahnung vor, wird auf anwalt.de und in kleinen Facebook-Gruppen gepostet. Natürlich mit dem Hinweis: „Melden Sie sich bei mir, ich berate Sie gern.“
Die angebliche Analyse der Abmahnung wirkt zwar kritisch, endet aber immer in der gleichen Botschaft: „Zahlen Sie nicht vorschnell – rufen Sie mich an.“
Na klar, denn jeder Anruf ist potenziell ein Mandat.
Der Händlerbund spielt auch mit. Statt klar zu sagen „Diese Abmahnung ist höchstwahrscheinlich unberechtigt, lasst euch nicht verrückt machen“, fragt man lieber suggestiv: „Rollt jetzt die Abmahnwelle?“ – ein Klassiker, um den Puls der Händler hochzutreiben.
Das Abmahnbusiness hat zwei Seiten – und beide verdienen
Hier liegt der eigentliche Skandal:
Abmahner und Verteidiger leben voneinander.
Ohne den einen gäbe es den anderen nicht. Weniger Abmahnungen bedeuten weniger Mandate – auf beiden Seiten.
Darum vermisse ich bei den Verteidiger-Kanzleien regelmäßig den Biss, die Abmahner wirklich öffentlich in die Mangel zu nehmen.
Ein Beispiel:
Oliver Luesgens aus Köln steckt hinter der Abmahner-GmbH in diesem BFSG-Fall.
Ein Blick auf seine zahlreichen Internetauftritte zeigt: Auch bei ihm läuft nicht alles rechtlich vorbildlich.
Warum greifen Händlerbund, Internetrecht Rostock oder andere nicht genau diese Schwachstellen auf?
Ganz einfach: Es fehlt der Wille. Wer zu laut gegen Abmahner schießt, gefährdet das eigene Geschäftsmodell.
BFSG als Paniktreiber? Nicht mit uns!
Liebe Händler, lasst euch nicht kirre machen.
Ja, Barrierefreiheit ist wichtig. Ja, das Gesetz gilt. Aber:
- Eine pauschale Abmahnung ohne konkreten Mangel ist wertlos.
- Ohne echtes Wettbewerbsverhältnis fehlt es an der Anspruchsgrundlage.
- Ein Vergleichsangebot, das günstiger als die angeblichen Anwaltskosten ist, stinkt nach Geldmacherei. Remember Sandhage.
Mein klarer Rat:
Nicht zahlen. Keine Unterlassungserklärung unterschreiben. Erst reagieren, wenn wirklich ein gerichtlicher Antrag (einstweilige Verfügung) vorliegt.
Vorher sind Anwälte in vielen Fällen nur Kostenfaktor.
Das mögen die Verteidiger-Kanzleien nicht hören – aber es ist die Wahrheit.
Warum wir über das System reden müssen – nicht nur über Einzelfälle
Diese BFSG-Abmahnung ist nur ein Symptom.
Das eigentliche Problem ist das deutsche Abmahnwesen, das seit Jahren ein Selbstbedienungsladen für spezialisierte Kanzleien ist.
Und ja – auch die Verteidiger profitieren davon.
Was wir brauchen, ist:
- Mehr Mut der Händler, unberechtigte Abmahnungen einfach zu ignorieren, bis echte rechtliche Schritte folgen.
- Mehr Aufklärung ohne Verkaufsagenda.
- Mehr öffentlicher Druck auf Kanzleien, die Gesetze als Geschäftsmodell missbrauchen.
Solange Händler reflexartig zum Hörer greifen, wenn ein Brief mit „Abmahnung“ kommt, wird sich nichts ändern.
Fazit: BFSG ist kein Freifahrtschein für Abmahner – außer, wir lassen es zu
Diese BFSG-Abmahnung ist – Stand heute – ein Paradebeispiel für das Abzockpotenzial neuer Gesetze.
Der Abmahner hat schwache Karten, aber er spielt sie geschickt.
Die Verteidiger-Kanzleien reiben sich die Hände, weil jede neue Abmahnwelle auch für sie Umsatz bedeutet.
Es liegt an uns, das Spiel zu beenden.
Mein Vorschlag:
Händler schließen sich zusammen, tauschen Infos aus, und reagieren erst dann anwaltlich, wenn die Gegenseite wirklich vor Gericht zieht.
Das würde beiden Seiten – Abmahnern und Verteidigern – das Wasser abgraben.
Bis dahin gilt:
Lasst euch nicht melken. Nicht vom Abmahner. Nicht vom Verteidiger.
FAQ: BFSG-Abmahnung – das musst du wissen
Gilt das BFSG überhaupt für die meisten kleinen Händler?
Für viele kleine Händler greifen die BFSG-Pflichten nicht, weil das Gesetz nur bestimmte Produkte und digitale Dienste sowie bestimmte Rollen (z. B. Hersteller, Importeure, Vertreiber oder Diensteanbieter) erfasst. Prüfe zuerst selbst, ob du mit deinem Angebot überhaupt in den Anwendungsbereich fällst, bevor du Geld oder Zeit investierst.
Wie kann ich selbst prüfen, ob ich vom BFSG betroffen bin?
- Angebot: Bietest du Produkte oder digitale Dienste an, die typischerweise unter Barrierefreiheitsvorgaben fallen?
- Rolle: Trifft dich das BFSG als Hersteller/Importeur/Vertreiber oder als Anbieter eines digitalen Dienstes?
- Konkreter Anknüpfungspunkt: Gibt es einen klaren, benennbaren Mangel, nicht nur pauschale Behauptungen?
Wenn du diese Punkte überwiegend mit „Nein“ beantwortest, bist du wahrscheinlich nicht betroffen.
Ich habe eine BFSG-Abmahnung bekommen. Was tun?
Ruhe bewahren. Nicht zahlen, keine Unterlassungserklärung abgeben. Fordere die konkrete Darlegung des angeblichen Verstoßes und des Wettbewerbsverhältnisses. Reagiere anwaltlich erst, wenn wirklich ein gerichtlicher Antrag (einstweilige Verfügung, EV) auf dem Tisch liegt.
Muss zwischen Abmahner und mir ein Wettbewerbsverhältnis bestehen?
Ja. Ohne echtes Wettbewerbsverhältnis fehlt in der Regel die Anspruchsgrundlage nach UWG. Ist der Abmahner kein direkter Mitbewerber, ist die Abmahnung meist angreifbar.
Der Abmahner bietet einen „günstigen Vergleich“ (z. B. 595 €) an. Annehmen?
Nicht vorschnell. Solche Angebote riechen nach Einnahmemodell. Ohne klaren, belegten Verstoß und ohne Wettbewerbsverhältnis gibt es keinen Grund zu zahlen.
Soll ich sofort eine Kanzlei beauftragen?
Meistens nein. Erst Self-Check machen und Substanz prüfen. Anwalt erst einschalten, wenn eine EV droht/beantragt ist oder die Gegenseite sauber begründet hat.
Woran erkenne ich eine substanzarme Abmahnung?
- Pauschale Vorwürfe ohne konkrete Norm und ohne belegten Mangel
- Screenshots ohne nachvollziehbare Erläuterung
- Fehlende Begründung des Wettbewerbsverhältnisses
- Gleichzeitiges „Angebot“, bei der Umsetzung zu helfen (eigene Leistung verkaufen)
Soll ich eine Unterlassungserklärung unterschreiben?
Nein. Unterlassungserklärungen binden dich langfristig und bergen Vertragsstrafenrisiken. Nichts unterschreiben ohne zwingenden Grund und fundierte Prüfung.
Welche ersten Schritte kann ich sofort umsetzen?
- Self-Check BFSG-Betroffenheit durchführen
- Schriftlich um konkrete Begründung und Nachweise bitten
- Fristen prüfen und diarisiert festhalten
- Keine Zahlungen, keine Erklärungen
- Nur bei echter Eskalation (EV) anwaltlich einsteigen
