Wenn die Wirtschaft von ›Konsolidierung‹ spricht, hat das meist einen unangenehmen Beigeschmack. Da verschwinden Player vom Markt, fallen Arbeitsplätze weg, ein oder zwei große Unternehmen bleiben übrig. Ganz anders ist das, was wir gerade im Amazon-FBA-Business beobachten. Professionelle Unternehmensaufkäufer und VC-finanzierte Teams überbieten sich mit Angeboten an Onlinemarken. Sie wollen möglichst viele Händler mit dem Versprechen einsammeln, das Geschäft zu skalieren. Die Begehrlichkeiten haben einen guten Grund: Auch 2020 setzten die Marktplatzhändler ihren Siegeszug fort. Mittlerweile stehen sie für fast zwei Drittel aller Umsätze auf Amazon.

Geld ist reichlich vorhanden. Bei der Erfahrung beim Ausbau von Marken und Kanälen ergibt sich ein völlig heterogenes Bild. Ein Vorbild für die potenziellen Aufkäufer ist das US-amerikanische Unternehmen Thrasio. Aber inzwischen werfen andere Player ihr Geld in den Ring. Rund eine Milliarde US-Dollar an Risikokapital haben neu gegründete Unternehmen wie SellerX, Heroes und Brands United zur Verfügung, um Verkäufer zu überzeugen. Den ersten Vollzug meldete kürzlich aber auch ein Player, der seine Aufkauf-Pläne aus eigener Kraft realisieren kann: Innerhalb von nur wenigen Wochen hat die Berlin Brands Group (BBG) die Übernahme der Internet-Marke Sleepwise des Hamburger Online-Händlers neu.land zum Abschluss gebracht.

Angenehmer Nebeneffekt der Konsolidierung: Noch mehr Gründer werden sich überlegen, eine neue Internet-Marke aufzubauen. Und die meisten Verkäufer werden nicht widerstehen können, nach dem ersten lukrativen Wurf gleich noch einen nächsten zu probieren.

Schauen wir uns heute einmal die Käuferseite an? Wer spielt hierzulande mit?

Nachdem sich auf dem deutschen Markt die ersten Aufkäufer zu Wort gemeldet haben, veröffentlichte Thrasio hektisch eine Pressemitteilung. Das Signal ist klar: Das Unternehmen will signalisieren, dass auch hierzulande viel Geld ausgegeben werden soll. Mit 200 Mio. Dollar will der amerikanische Platzhirsch auf dem spannenden deutschen Markt mitmischen. Thrasio startete im Jahr 2018 sein Geschäft in den USA und hat seither über 50 Amazon-Brands übernommen. Das Unternehmen wurde im Rahmen seiner letzten Finanzierungsrunde mit über eine Milliarde US-Dollar bewertet. Den Nachweis, ob das eigene Geschäftsmodell international skalierbar ist, sind sie noch schuldig. Die Expertenmeinungen gehen dazu auseinander. Nicht zuletzt, weil das Amazongeschäft in Europa und anderen Teilen der Welt sehr viel fragmentierter oder gar nicht vorhanden ist. Der Anteil von Amazon am Online-Retail-Geschäft in Europa liegt laut Statista nur bei rund 10 Prozent. Für andere Player im Markt ist genau das eine große Chance.

Dazu gehören große und bereits etablierte Amazon-Händler. Sie wollen durch Zukäufe kleinerer Eigenmarkenanbieter weiterwachsen. Idealerweise passen diese gut zum eigenen Sortiment.

Ein Beispiel ist die bereits genannte Berlin Brands Group mit ihren 300 Mio. Euro Umsatz in diesem Jahr. Bei der Bewertung dürften die Berliner auf Augenhöhe sein mit Thrasio. Das gilt auch bei den finanziellen Mitteln. Aber sie haben auch andere gute Argumente: Sie können Verkäufern glaubhaft versichern, dass sie ein tiefes Verständnis von Marken und Markenaufbau haben. Sie haben selbst 14 Eigenmarken aufgebaut, die sie in über 100 Kanälen weltweit vertreiben. Dazu gehören über 70 eigene Webshops in 28 Ländern, Aktivitäten auf Plattformen, Marktplätzen und ein effizientes Amazon-Geschäft.

Neben diesen etablierten Amazon-Händlern gibt es sogenannte Ankäuferteams. Völlig unabhängig vom Produktangebot identifizieren sie Kandidaten mit Potenzial. Meist sind es Experten, die sich im E-Commerce (vielleicht) gut auskennen. Ein Beispiel hier ist Brands United. Vermutlich gehören auch die Teams von Thirstii und Zeelos in diese Kategorie.

Erfahrung mit dem schnellen Aufbau von Unternehmen hat die dritte Gruppe: der VC-finanzierte Unternehmensinkubator. Sie haben meist auch Erfahrung beim Einsammeln von respektablen Geldmitteln. Dazu gehört das Start-up Heroes, das 65 Mio. von Investoren bekommen hat.

Ebenfalls gehört SellerX dazu . Sie haben 100 Mio. im Korb. Target Global zeigt mit Branded einen weiteren europäischen Anbieter auf.

Eine weitere Gruppe, die im Markt mitspielt, sind die traditionellen Vermittler von Unternehmenskäufen. Dazu gehören MMA-Agenturen wie marcedo. Außerdem Verkaufsbörsen wie die von shopanbieter.de und dragonflip.

Das Ziel aller: profitable Amazon-Händler mit über einer Mio. Euro Umsatz, mit interessanter Wachstumskurve, Eigenmarken mit Potenzial. Knapp 3.000 solcher interessanten Unternehmen soll es in Deutschland geben. Nicht jeder will oder muss verkaufen. Viele aber kommen an den Punkt, dass das Wachstum Tribut fordert: Personelle Ressourcen müssen aufgebaut und die Logistik erweitert werden. Internationales Wachstum bedeutet zudem, dass jeder die Gegebenheiten in den Märkten kennen muss oder Teams vor Ort braucht. Und: Es braucht Geld, viel Geld, um den Einkauf vorzufinanzieren. Da kommt schon der ein oder andere auf die Idee, sein ›Baby‹ in gute Hände zu geben und Kasse zu machen. ›Danach in den Urlaub‹ geht gerade schlecht. Aber mit einer neuen Idee zu starten, wäre eine Option. Die könnte in ein, zwei Jahren wieder ein Verkaufskandidat werden.