Kommentar: BGH-Urteil gegen Online-Coachings – ein Rundumschlag mit fatalen Folgen
Am 11. Juli 2025 hat der Bundesgerichtshof ein Urteil veröffentlicht , das kaum überbewertet werden kann: Verträge über Online-Coachings ohne staatliche Zulassung nach § 12 FernUSG sind unwirksam. Das Urteil ist eine Bombe– und zwar eine, die nicht nur die schwarzen Schafe, sondern die gesamte Weiterbildungsbranche zerstört.
Was das Urteil bedeutet
Viele denken bei “Online-Coaching” reflexhaft an dubiose Typen, die mit Miet-Lambos vor Hotels posieren, reißerisch auf Facebook oder Instagram werben und schnelle Millionen versprechen. Und ja: Diese Leute sind betroffen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Das BGH-Urteil trifft restlos alle.
- eBay-Workshops
- seriöse Amazon-Coachings
- kostenpflichtige Webinare über Zoom oder Discord
- Selbstlernkurse zu KI, SEO oder Copywriting
- sogar AZAV-geförderte Maßnahmen und andere staatlich finanzierte Bildungsprogramme
Alle Anbieter, auch die absolut seriösen, geraten in die rechtliche Dunkelzone– und das mit diesem Urteil.
Online-Lehre? Nur noch mit Zulassung
Der Knackpunkt: Das FernUSG erlaubt den Vertrieb systematisch aufgebauter Fernlehrgänge nur mit offizieller Zulassung durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU). Diese Zulassung ist jedoch für viele Angebote de facto nicht zu bekommen – nicht, weil die Inhalte unseriös wären, sondern weil das Verfahren aus einer völlig anderen Zeit stammt. Zu hohe Zulassungsgebühren. Viel zu lange Zulassungszeiten.
Willkommen in der Bürokratie-Hölle
Stellen wir uns einmal vor: Ein KI-Kurs wird im Januar geplant und zur Zertifizierung eingereicht. Im August ist die Hälfte des Inhalts veraltet – der Kurs muss angepasst, neu eingereicht und erneut teuer zertifiziert werden.
- Eine Zertifizierung kostet nicht selten vier- bis fünfstellige Summen.
- Sie dauert Wochen bis Monate.
- Jede Änderung (neue Videos, aktualisierte Inhalte) kann zur Neuzulassungspflicht führen.
- Gerade in innovativen Branchen ist das wirtschaftlich völlig untragbar.
Mit diesem Urteil wurde faktisch ein Verbot für Online-Wissen auf Zuruf ausgesprochen.
Ein Gesetz aus der Schreibmaschinen-Zeit
Das FernUSG stammt aus den 1960er-Jahren – aus einer Zeit, in der Fernunterricht per Post stattfand. Kein Zoom, kein Discord, keine Interaktion in Echtzeit. Damals war das Gesetz richtig und wichtig. Heute wirkt es wie ein fossiler Fremdkörper in einem digitalen Ökosystem.
Wissen verbreitet sich heute schnell, Austausch ist jederzeit möglich, Feedback ist sofort da. Die klassische Lehrer-Schüler-Didaktik ist im digitalen Raum weiterentwickelt. Doch das Gesetz kennt nur Schwarz oder Weiß – und das Urteil übernimmt genau diese Logik.
Die Kehrseite der Marktbereinigung
Natürlich: Das Urteil bietet eine Chance zur Marktbereinigung. Unzählige Betroffene können nun ihr Geld zurückfordern, wenn sie auf Blender hereingefallen sind. Und das ist gut so. Es wurde Zeit, dass der Coaching-Wildwuchs juristisch angegangen wird.
Aber: Mit dem Holzhammer trifft man auch die guten Angebote.
Es trifft:
- Coaches mit echtem Fachwissen
- Workshops mit klaren Mehrwerten
- Kurse, die praxisnah und kompetent aufgebaut sind
- Anbieter, die bisher alles richtig gemacht haben – bis auf die fehlende ZFU-Zulassung
Die Kollateralschäden werden immens sein.
Lernen gegen Geld – das ist okay!
Nicht jeder, der Wissen verkauft, ist ein Betrüger. Und nicht jeder Kurs, der Geld kostet, ist automatisch wertlos. Im Gegenteil: In einer Gesellschaft, in der Wissen zur zentralen Ressource wird, ist bezahlte Weiterbildung unverzichtbar – gerade auch außerhalb von Schulen und Hochschulen.
Das BGH-Urteil würgt dieses Wissen ab.
Es verbaut Tausenden Menschen die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Und es zwingt Anbieter, ihre Kurse vom Markt zu nehmen – nicht, weil sie schlecht wären, sondern weil sie in einem veralteten Gesetz keine rechtliche Heimat mehr finden.
Ein Appell an Politik und Verbände
Was jetzt fehlt, ist eine klare politische Botschaft: Das FernUSG muss reformiert werden. Jetzt. Sofort.
Wir brauchen:
- Eine rechtssichere Definition von Online-Kursen, die keine ZFU-Zulassung brauchen
- Einen klaren Unterschied zwischen „Online-Coaching“ und „Fernunterricht“ im klassischen Sinne
- Flexible Zertifizierungsmodelle für digitale Weiterbildungsformate
- Und vor allem: Einen gesetzlichen Rahmen, der Innovation nicht verhindert, sondern ermöglicht
Bis dahin ist das BGH-Urteil ein Brandbeschleuniger für Unsicherheit, Abmahnungen und Marktsterben.
Fazit: Wissen braucht Freiheit – nicht Fesseln
Ja, wir brauchen Regeln für den Weiterbildungsmarkt. Aber bitte keine Vorschriften aus der Mottenkiste. Wir leben nicht mehr in der VHS-Katalog-Republik. Wir leben in einer Plattformökonomie mit TikTok, Discord, GPT und Co. Die Menschen wollen lernen. Schnell. Digital. Unabhängig.
Das Urteil des BGH mag rechtlich sauber sein – politisch ist es ein Offenbarungseid. Und es ist jetzt höchste Zeit, dass die Verantwortlichen wach werden.
Denn Wissen ist keine Gefahr. Wissen ist die Lösung.
Zum Schluß
Der BGH kann in seinen Urteilen darauf hinweisen, dass ein Gesetz aus seiner Sicht nicht mehr zeitgemäß ist oder unerwünschte Folgen hat. Solche Hinweise haben zwar keine unmittelbare rechtliche Wirkung, sie können aber politischen Druck erzeugen – etwa indem sie eine Debatte über eine Gesetzesänderung anstoßen. Genau das hätte ich erwartet. Schade.
Vor sechs Wochen hat der gleiche Mark Steier über dieses Urteil noch gejubelt und geraten, auch von seriösen Kurs-Anbietern das Geld wieder zurückzuholen:
“Warum jeder Unternehmer jetzt handeln sollte
Auch wenn ihr zufrieden wart: Das Geld steht euch zu. Es ist betriebswirtschaftlich unklug, auf diese Rückzahlung zu verzichten. Das Coaching war schlicht nichtig – Punkt. Wer unternehmerisch denkt, nutzt diese Möglichkeit zur Rückforderung – wie bei jeder anderen fehlerhaften Lieferung oder Dienstleistung auch.”
https://wortfilter.de/mit-diesem-urteil-muessen-euch-coaches-alles-geld-zurueckzahlen/
Frei nach Konrad Adenauer, “was interessiert mich mein Geschwätz von gestern”.
… richtig & zutreffend mein damaliger Beitrag. Aber er steht keinen Millimeter im Widerspruch zu meinem heutigem Kommentar.