Die Psychologie der Retoure: Neue Studie zeigt, wie Behavioral Design Retouren wirksam senken kann

Die aktuelle Studie „Psychologie der Retoure – Wie Behavioral Design die Rücksendequote im E-Commerce senken kann“ von elaboratum und behamics zeigt nun: Mit psychologisch fundierten Maßnahmen lassen sich Retouren reduzieren, ohne Kunden abzuschrecken oder finanzielle Anreize zu setzen.

Ziel der Studie

Die zentrale Fragestellung lautet: Wie kann Behavioral Design im Onlinehandel dazu beitragen, die Rücksendequote signifikant zu senken – und das ohne Rabatte, Strafen oder Versandkostenänderungen? Die Studie knüpft an eine Vorgängerstudie von 2021 an, wurde jedoch deutlich breiter angelegt und methodisch weiterentwickelt.

Methodik & Studiendesign

  • Teilnehmer:innen: Über 220.000 Konsument:innen
  • Bestellungen: Mehr als 100.000
  • Regionen: Acht europäische Länder, u. a. Deutschland, UK, Polen, Schweden, Österreich
  • Testumgebung: Mehrere große Fashion-Onlinehändler
  • Technologie: Behavioral-Design-Interventionen wurden in Echtzeit über die SaaS-Plattform behamics ausgespielt
  • Zielgrößen: Retourenquote, Conversion-Rate, retourenbereinigter Nettoumsatz

Besonderheit: Die Interventionen wurden in einer Randomized Controlled Blind Study getestet – also unter wissenschaftlichen Standards mit Kontrollgruppen.

Die getesteten psychologischen Interventionen („Behavioral Patterns“)

Folgende psychologisch fundierte Strategien wurden eingesetzt:

  • Loss Aversion (Verlustangst)
  • Social Norm (soziale Normen)
  • Reziprozität (Wechselbezüglichkeit)
  • Illusion of Control (Schein der Kontrolle)
  • Foot-in-the-Door-Technik
  • Serial Positioning (Liking & Wanting)
  • Intelligente Weiterleitung abhängig vom Verhalten

Außerdem wurden mehrere Kombinationen dieser Interventionen getestet, z. B. „Loss Aversion + Foot in the Door“ oder „Loss Aversion + Illusion of Control“.

Psychologie der Retoure: Ergebnisse im Überblick

Die Wirkung der Maßnahmen war messbar – und in vielen Fällen eindrucksvoll:

InterventionRetourenquote ↓Conversion ↑Nettoumsatz ↑
Loss Aversion + Illusion of Controlbis -3,2 %bis +6,7 %bis +14,1 %
Loss Aversion + Foot in the Doorbis -2,9 %bis +4,4 %bis +13,2 %
Serial Positioning (Liking)bis -7,0 %bis +2,6 %bis +8,8 %
Serial Positioning (Wanting)bis -6,4 %bis +4,0 %bis +8,4 %

Einzelinterventionen wie Social Norm oder Reziprozität zeigten ebenfalls positive Effekte – jedoch meist geringer als Kombinationsstrategien.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Die Studie modelliert mögliche wirtschaftliche Effekte anhand eines Modehändlers mit 100 Mio. € Umsatz und einer Retourenquote von 45 %:

RetourenreduktionErtragsmargeErgebnis (Mio. €)Ertragssteigerung
0 %1,4 %1,4
-1 %3,7 %3,8+171 %
-3 %8,1 %8,5+507 %
-5 %12,0 %13,1+836 %

Selbst geringe Verbesserungen bei der Retourenquote haben also signifikante Effekte auf das betriebswirtschaftliche Ergebnis.

Länderspezifische Unterschiede

Die Wirkung der Interventionen variiert stark zwischen den Ländern:

  • Individualistische Märkte wie die Niederlande oder Polen sprechen besonders gut auf Botschaften zur Eigenverantwortung oder Kontrolle an.
  • In Deutschland wirken loss-orientierte (verlustvermeidende) Nudges am besten.
  • Generische Nachhaltigkeitsbotschaften waren weitgehend wirkungslos oder sogar kontraproduktiv.

Warum viele Standardlösungen nicht helfen

Eine zentrale Erkenntnis der Studie: Einheitslösungen funktionieren nicht. Die Wirkung psychologischer Interventionen hängt stark vom Kontext, vom konkreten Timing und von der Nutzererwartung ab. Reine CSR-Botschaften („Bitte der Umwelt zuliebe weniger retournieren“) zeigen kaum Wirkung – oder schaden sogar.

Ökologische Dimension

  • Retourenvolumen in Europa (Fashion-Sektor): > 211 Mio. jährlich
  • CO₂-Ausstoß pro Retoure: Ø ca. 850 g
  • Gesamtkostenblock Retouren (Europa): rund 4,1 Mrd. € jährlich

Allein durch eine Reduktion der Retourenquote um wenige Prozentpunkte könnten also Millionen CO₂-Emissionen und Milliardenkosten eingespart werden.


Fazit der Autoren (ohne redaktionelle Einordnung)

Die Studie zeigt, dass Behavioral Design ein hochwirksames Werkzeug zur Optimierung von Retourenquoten ist – nicht durch Bestrafung oder Rabattmechanismen, sondern durch das gezielte Aktivieren psychologischer Verhaltensmuster. Die besten Resultate erzielten mehrstufige Kombinationen einzelner Interventionen, angepasst an Zielgruppe und Region.


Quelle:
Spreer, P., Pfrang, T., Oberwegner, N. (2024). Psychologie der Retoure – Wie Behavioral Design die Rücksendequote im E-Commerce senken kann. 2. Auflage, elaboratum GmbH & behamics GmbH.
www.elaboratum.de


✅ Checkliste: Behavioral Design gegen Retouren im E-Commerce

1. Datenlage analysieren

  • 📊 Retourenquote ermitteln – idealerweise produkt- und kundenspezifisch
  • 🧾 Retourengründe auswerten (z. B. Größe, Qualität, falsche Erwartungen)
  • 📍 Zielgruppencluster bilden (z. B. Neukunden vs. Stammkunden)

2. Ziele festlegen

  • 🎯 Was soll erreicht werden?
    • Rücksendequote senken
    • Conversion stabil halten oder verbessern
    • Kundenzufriedenheit erhalten

3. Psychologische Strategien auswählen

Je nach Ziel und Zielgruppe folgende Nudges einsetzen:

ZielverhaltenEmpfohlene Intervention
Weniger spontane Käufe🧠 Loss Aversion, Social Norms
Passendere Produktauswahl🧠 Illusion of Control, Reziprozität
Bessere Produkterwartung🧠 Serial Positioning (Wanting & Liking)
Kundenbindung stärken🧠 Foot-in-the-Door, Reziprozität

4. Interventionen einbauen (konkret & einfach)

  • ⚠️ Loss Aversion: „Rücksendungen verursachen hohe Kosten – bitte prüfen Sie sorgfältig.“
  • 👥 Social Norm: „93 % unserer Kunden behalten ihre Bestellung.“
  • 🔄 Reziprozität: „Wir geben unser Bestes – bitte helfen Sie uns, Retouren zu vermeiden.“
  • 🎛️ Illusion of Control: „Stellen Sie Ihre perfekte Größe in 3 Schritten ein.“
  • ❤️ Liking/Wishing: Zeige zuerst beliebte Farben/Größen (Serial Positioning)

5. Technische Umsetzung vorbereiten

  • 💻 Zusammenarbeit mit UX-Design oder Shop-Entwicklung sichern
  • 🤖 Einsatz von A/B-Testing oder einer Behavioral-Engine (z. B. behamics)
  • 🔐 Datenschutz prüfen: DSGVO-konforme Umsetzung sicherstellen

6. Kultur und Land berücksichtigen

  • 🇩🇪 In Deutschland wirken loss-orientierte Formulierungen gut
  • 🇵🇱 In Polen besser mit Selbstbestimmung & Kontrolle arbeiten
  • 🇬🇧 UK reagiert stärker auf soziale Normen

7. Ergebnisse messen und anpassen

  • 🔍 Retourenquote vs. Conversion vs. Umsatzentwicklung beobachten
  • 🔄 Interaktionen analysieren und Messages iterativ optimieren
  • 📈 Erfolge intern dokumentieren & multiplizieren

8. Vermeide diese Fehler

❌ Nachhaltigkeitsbotschaften ohne echten Kontext
❌ Pop-ups ohne Relevanz zum konkreten Produkt
❌ Nudges bei hochwertigen oder erklärungsbedürftigen Produkten, wo Beratung wichtiger ist


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