Onlinehändler sind auf die richtigen Steuersätze für Ihre Produkte angewiesen. Sonst riskieren sie am Ende ihr Geschäftsmodell – und Ärger mit dem Finanzamt.
Abhängigkeit von der Plattform
Wollten Unternehmen früher ihre Produkte ins europäische Ausland verkaufen, war dies oft ein langwierig vorzubereitender und umständlich durchzuführender Prozess. Heute sind grenzüberschreitende Verkäufe dank großer Plattformen wie Amazon, eBay und Co. eine Sache von nur wenigen Mausklicks. Mancher Onlinehändler bemerkt kaum, dass seine Waren, die er via Plattform anbietet, auch von Kunden aus anderen europäischen Ländern bestellt und gekauft werden können. Dies alles bliebe unproblematisch, solange die bei etwa Amazon-internen Umsatzsteuer-Berechnungsservices – die den Kunden die Ware in Rechnung stellen und dabei auch den jeweiligen länderspezifischen Mehrwertsteuersatz ausweisen – korrekt arbeiteten. Leider ist das nicht immer der Fall. Hauptgrund dafür ist das zugrunde liegende, komplexe Steuersystem der EU. Neben dem Standardsteuersatz und dem reduzierten Steuersatz, gibt es in den 27 EU-Ländern zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen, bei denen man immer auf dem neuesten Stand sein muss. Sowohl Händler als auch Steuerberatungsunternehmen stellten schon mehrfach fest, dass Plattformen in den für die Kunden automatisch erstellten Rechnungen die falschen Umsatzsteuersätze ausweisen. Händler können sich hier also nicht allein auf die Plattform verlassen und laufen Gefahr, falsche Daten in ihre Steuererklärung zu übernehmen. Gegenüber den Finanzämtern haften sie jedoch selbst für die Richtigkeit der Daten.
Das Aus für Händler?
Wie bereits erwähnt, ist das EU-Mehrwertsteuersystem alles andere als leicht zu durchschauen. Einheitlich geregelt ist es auch nicht. Waren, die in Deutschland verkauft werden, unterliegen 19 Prozent Mehrwertsteuer. Werden sie nach Polen verkauft, werden 23 Prozent Mehrwertsteuer für den Kunden fällig, in Luxemburg nur 17 Prozent und da sprechen wir nur von den Standardsätzen. Für die Onlinehändler ist es ein großes Problem, dass Plattformen hier fehlerhaft arbeiten – denn sie müssen anschließend die Rechnungen selbst korrigieren. Und nicht nur das: Sie laufen auch Gefahr, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr trägt. Wenn Steuersätze nicht richtig berechnet werden, können ihre Produkte schnell deutlich teurer als die der Konkurrenz zu sein – oder sie müssen nach Steuerprüfungen die Differenz zu fälschlicherweise berechneten ermäßigten Steuersätzen ans Finanzamt zurückzahlen. Gerade für kleine Händler können beide Szenarien schnell das Aus bedeuten.
Plattformen wie Amazon selbst äußern sich zu entsprechenden Anfragen und Beschwerden unklar. Der Konzern gebe jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar aus, um die Infrastruktur für die Onlinehändler zu optimieren und ermögliche seinen Händlern jederzeit, die entsprechenden Einstellungen für die Berechnung der Mehrwertsteuer an seine Kunden individuell anzupassen. Händler machen jedoch andere Erfahrungen. Sie berichten immer wieder, dass sie theoretisch zwar die Möglichkeit hätten, die Steuercodes zu ändern – in der Praxis hätten allerdings sogar Steuerexperten Probleme, die entsprechenden Einstellungen vorzunehmen.
Europäische Kommission übernimmt keine Haftung
Hinzu kommt ein weiteres großes Problem: Selbst bei der Europäischen Kommission herrscht stellenweise Unkenntnis über die korrekten Steuersätze, die bei EU-weiten Verkäufen von Waren und Produkten zu berechnen sind. Auf der Website der Europäischen Kommission gibt es zwar Listen mit diesen Steuersätzen – aber die Kommission übernimmt keine Garantie für deren Aktualität, Vollständigkeit und Richtigkeit. Roman Maria Koidl, Gründer & CEO von eClear, hat die Kommission darauf hingewiesen, dass deren Listen an manchen Stellen Fehler aufweisen. Nach wie vor sind unter anderem Lebensmittelprodukte in Deutschland, die zu einem reduzierten Steuersatz von 7 Prozent verkauft werden, mit dem üblichen Regelsatz von 19 Prozent ausgewiesen. Wenn Händler sich darauf verlassen, erleiden sie Wettbewerbsnachteile und führen zu viel Steuern an das Finanzamt ab. „Verlässliche und belastbare Auskünfte sind über diese Datenbank nicht möglich“, so Koidl, der für sein Unternehmen eClear über mehrere Jahre hinweg eine eigene Datenbank mit dem Namen VATRules aufgebaut hat, in der 1,2 Mio. Steuercodes und alle Ausnahmen erfasst sind und die durchgehend manuell auf aktuellem Stand gehalten wird. Doch geändert hat sich daran nichts. Die Europäische Kommission habe lediglich mitgeteilt, dass sie keine Haftung für die Daten übernehme.