Von Dumplings zu Dildos: Wie die „Shame Economy“ den E-Commerce neu denkt
Shame Economy: In China liefern Food-Apps mehr als nur Frühlingsrollen. Wer heute Dessous oder Sexspielzeug bestellt, bekommt sie dort so schnell geliefert wie das Mittagessen. Was nach Gag klingt, ist in Wahrheit eine stille Revolution – mit enormem Potenzial für den Onlinehandel.
Wenn der Bote zweimal klingelt – aber keiner hinschaut
In Metropolen wie Shenzhen ist es längst Realität: Wer Lust auf mehr als nur Mittagessen hat, bestellt über Meituan, Chinas größte Lieferplattform, direkt Reizwäsche oder Sextoy – mit Lieferzeit unter 30 Minuten. Und das ganz ohne peinlichen Gang zum Shop oder neugierige Blicke im Supermarkt.
Was dahintersteckt? Eine neue Kategorie im E-Commerce: die „Shame Economy“ – der Handel mit Produkten, bei denen Scham und Spontaneität eng beieinanderliegen.
LOVE LAB: Heimliche Hubs für heiße Ware
Meituan betreibt dafür eigene Mini-Lager, sogenannte LOVE LABS – unbemannte, diskret platzierte Mikro-Depots für Erotikprodukte. Die liegen versteckt in Bürohäusern oder Nebenstraßen, werden automatisch bestückt und dienen als Ausgangspunkt für ultraschnelle Lieferungen.
Die Idee ist so einfach wie effektiv:
Wer schnell liefert, überspringt die Hemmung. Kein langes Nachdenken, kein peinlicher Kauf – einfach klicken, warten, genießen.
Was zählt: Tempo schlägt Prestige
Liu Yang, Markenmanagerin bei der beliebten Frauen-Toy-Marke Confession Bunny, bringt es auf den Punkt:
„Viele Kundinnen wollen einfach ein akutes Bedürfnis stillen. Da zählen Preis und Geschwindigkeit – nicht der Markenname.“
Impulse statt Image. Erfüllung statt Vergleich. Und bitte diskret.
Alibaba liefert nach – wortwörtlich
Natürlich bleibt so etwas in China nicht konkurrenzlos. Auch Ele.me, die Lieferplattform von Alibaba, hat inzwischen nachgelegt: Unter dem Namen Hi Le Me bietet auch sie Erotikprodukte auf Knopfdruck – und verpackt das Ganze elegant unter dem Label „Health Services“.
Was sich zeigt: Der Delivery-War hat eine neue Front – und sie liegt irgendwo zwischen Appetit und Intimität.
Die stille Macht der Scham
Hinter diesem Trend steht mehr als nur eine clevere Marktlücke. Es geht um den systematischen Abbau von Scham als Kaufbarriere. Produkte, über die man nicht spricht, die man aber dennoch haben will – und zwar jetzt.
Willkommen in der Scham-Ökonomie.
Hier gelten andere Regeln:
- Je schneller die Lieferung, desto geringer die Hemmung.
- Je diskreter der Kaufprozess, desto höher die Konversionsrate.
- Je vertrauter die App, desto leichter der Klick.
Und in Deutschland? Noch Pizza, kein Pleasure
Noch sind deutsche Lieferdienste weit entfernt davon, Vibratoren oder Dessous per App auszuliefern. Aber das Prinzip ist übertragbar – besonders für sensible Sortimente im E-Commerce. Oder was denkt ihr?
Fazit: Eine Wirtschaft, die versteht, was sich keiner traut zu sagen
Was in China passiert, ist keine Spielerei – es ist die Logistik gewordene Antwort auf ein gesellschaftliches Bedürfnis. Die „Shame Economy“ zeigt, wie moderner Handel funktioniert, wenn man nicht nur Produkte, sondern auch Emotionen versteht.
Wer Scham erkennt, akzeptiert und geschickt umgeht, verkauft nicht nur diskreter – sondern besser.