Vor ein paar Wochen verkündeten der OTTO-Konzern und Hermes-Fulfillment, dass sie ihre Retouren-Center in Deutschland schließen. Die Kosten seien zu hoch, die Retourenbearbeitung werde nach Tschechien und Polen verlagert. Damit tut es das Hamburger Unternehmen dem Rivalen Amazon gleich. Tatsächlich werden bei den Konzernen so Kosten in Millionenhöhe eingespart. Bei OTTO & Hermes sind über 800 Mitarbeiter betroffen. Aber warum sollen nur ›die Großen‹ von solchen Strategien profitieren? Stehen solche Möglichkeiten nicht nahezu jedem KMU zur Verfügung? Ergeben sich hier nicht neue Geschäftsmodelle für Händler und Lösungsanbieter?
Wie teuer ist in Tschechien eine Stunde Arbeit?
Es gibt in Tschechien ein Mindestlohngesetz, ähnlich wie in Deutschland. 2020 liegt der Mindestlohn bei circa 3,40 € brutto. Zu beachten ist allerdings eine relativ geringe Arbeitslosenquote, sodass es schwierig sein kann, auch für dieses Niveau Personal zu finden. Die Differenz zu deutschen Arbeitnehmern ist mehr als erheblich!
Kosten Firmengründung & Lagerhalle
In Grenznähe sind Lagerhalten natürlich gefragter als im Landesinneren. Trotzdem lassen sich Mietpreise von 1,20 € pro qm² realisieren. Neue Hallenflächen lassen sich zwischen 4,50 € und 5,00 € finden. Allerdings lassen sich über die großen Dienstleister wie Prologis oder 4PX Lagerflächen und Services buchen.
Eine Firmengründung ist einfach. Diese lässt sich z. B. über Agenturen oder mit der Außenhandelskammer Tschechien leicht bewerkstelligen. Eine steuerliche Erfassung haben die meisten Amazon-Händler ja bereits hinter sich, sodass auch die steuerliche Behandlung der Retouren keine größere Herausforderung ist.
Verschiedene Szenarien
Grundsätzlich lassen sich nun verschiedene Szenarien denken und vor allem rechnen. Ein Händler macht das nur für sich, mehrere Händler schließen sich zusammen, sind also alle Gesellschafter der Service GmbH in Tschechien oder es findet sich z. B. ein Fullfilment-Dienstleister, welcher den Service anbietet.
Auch sollten Modelle gerechnet werden, dass die Retouren an eine grenznahe Anschrift geliefert werden und von dort aus zu den Retouren-Centern per Kurier geliefert werden. Was passiert dann mit den Retouren? Werden sie von Tschechien aus zukünftig als B-ware an Verbraucher gesendet, als Neuware oder doch besser alle Retouren zurück in das Stammlager?
Beispielrechnung
Händler Himmel versendet selbst im Schnitt 1.200 Pakete pro Tag von Montag bis Freitag. Das macht 6.000 Pakete die Woche, also 24.000 Pakete im Monat. Trotz aller Mühe hat er 4% Retouren. Das entspricht 960 Paketen im Monat, oder eben circa 45 Pakete am Tag. Was kostet ihn nun die tägliche Retourenbearbeitung in Deutschland?
Möchte er das Paket öffnen, die Retoure öffnen, erfassen, reinigen und einlagern, dann fallen pro Einzelfall konservative 5 Minuten an. Ein Mitarbeiter kostet vorsichtig gerechnet die Stunde 30 € inklusive Urlaub, Krankheit und aller Nebenkosten. Also kosten 5 Minuten 2,50 €. 45 Pakete verursachen also 45 mal 2,50 € an Kosten. Das sind gleich 112,50 € pro Tag und bei 21,5 Arbeitstagen pro Monat dann 2.418,75 €.
2.418,75 € gilt es zu schlagen. Das ist nicht viel und zuallererst kommt die Frage in den Sinn, ob der Händler Himmel nicht zu klein für einen solchen Verwaltungsakt ist. Jein, zumindest sollte einmal gerechnet werden!
- Gründungskosten: 2.900 € (Umgelegt auf drei Jahre pro Monat sind 80,55 €)
- Miete: 300 €
- Personal: 600 €
- Energiekosten: 50 €
- Mehrkosten Logistik: 500 €
Summe: 1.530 €
Zu beachten ist – und das ist wichtig –, dass es sich hier um eine Modellrechnung handelt. Diese kippt z. B., wenn der Mitarbeiter häufig ausfällt oder eine hohe Fehlerquote abliefert. Trotzdem errechnet sich eine Ersparnis von 888,19 € PRO MONAT, also 10.658,33 € pro Jahr.
Wenn zwei das gleiche wollen
Tun sich nur zwei Händler zusammen, dann fallen die Kosten für Miete, die Energiekosten und auch die Personalkosten bereits um 50%. Bei 45 Paketen pro Tag ist ein Mitarbeiter nicht ausgelastet. Selbst dann nicht, wenn er noch den Neuversand der Retouren an Verbraucher zu erledigen hat.
Fazit: Bereits wenn sich zwei Händler zusammenschließen, ist eine weitere Ersparnis erheblich.
Retouren als Geschäftsmodell
Ab und an liest man bereits davon, dass es Agenturen bzw. Dienstleister gibt, welche ausschließlich Retouren für Händler abwickeln. Im KMU-Kontext hat sich dieses Service-Angebot allerdings noch kaum rumgesprochen. Es sei denn, ihr nutzt Amazon FBA, ja da werden auch die Retouren mitgehandelt. Wirtschaftlich lässt sich ein solches Modell recht gut darstellen und es verwundert, dass kleinere Fullfiler einen solchen Service noch nicht für sich entdeckt haben. Schade. Eigentlich.