🥁Paukenschlag: Landgericht Düsseldorf verpflichtet Schutzrechtsinhaber zur Abmahnung vor Amazon-Meldung – und nimmt Amazon selbst in die Pflicht

Ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf (4b O 19_23 – Entsafteraufsatz) bringt Bewegung in das Verhältnis zwischen Markeninhabern, Plattformbetreibern und Händlern. Im Kern verurteilte das Gericht eine Markeninhaberin dazu, keine Schutzrechtsverstöße mehr pauschal über Amazons Beschwerdeverfahren zu melden, ohne den betroffenen Händler vorher abzumahnen. Zusätzlich sprach das Gericht über 36.000 € Schadensersatz zu – und lässt in seiner Begründung wenig Zweifel daran: Auch die Plattform muss in Zukunft sorgfältiger arbeiten. Ist das bisherige Notice & Takedown-Verfahren tot?


🧑🏻‍⚖️Das Urteil in Kürze

Die Beklagte hatte Amazon mehrfach mit dem Hinweis kontaktiert, das Produkt eines Mitbewerbers (ein „B-Entsafter“) verletze diverse Patente. Amazon reagierte wie gewohnt: Sperrung des Angebots. Die Klägerin verlor dadurch spürbar Umsatz und Kundenvertrauen – und klagte erfolgreich auf Unterlassung und Schadensersatz. Das Gericht stellte fest: Die Beschwerden der Beklagten waren unbegründet, die Sperrung unzulässig.


🧨 Die eigentliche Brisanz: Plattformen haften, wenn sie falsch löschen

Bislang lief es so: Wenn ein Schutzrechtsinhaber eine Markenverletzung meldete, reagierte Amazon automatisiert – Angebot gesperrt, ASIN weg, vielleicht gleich der ganze Account. Ziel war: DSA-konform handeln, also nach Kenntnis einer möglichen Rechtsverletzung „unverzüglich“ eingreifen, um nicht selbst haftbar zu werden.

Doch das Urteil sagt in Rn. 66 glasklar:

„Eine vorauseilende Sperrung kann einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 4 DSA darstellen […] und zu Schadensersatzansprüchen führen.“

Mit anderen Worten: Wer zu schnell sperrt, kann verklagt werden – selbst als Plattformbetreiber. Damit wird das Notice & Takedown-Verfahren, wie es Amazon, eBay, Etsy und viele andere seit Jahren nutzen, juristisch zu Problemfall.


⚖️ Plattformen im Klemmbrett-Dilemma

Die Plattformbetreiber stehen nun zwischen zwei rechtlichen Fronten:

Pflicht laut DSA Risiko laut LG Düsseldorf
Inhalte nach Kenntnis von Rechtsverletzungen schnell entfernen – sonst droht Haftung. Wer Inhalte zu schnell und unrechtmäßig entfernt, verletzt die Rechte des Verkäufers – und muss Schadenersatz zahlen.

Heißt: Plattformen müssen prüfen – aber wie?

In Rn. 74 und 75 beschreibt das Gericht das Problem sehr deutlich: Amazon & Co. haben gar nicht die Mittel, um in jedem Fall zu bewerten, ob das gemeldete Schutzrecht wirklich verletzt wird. Trotzdem entfernen sie Angebote, weil sie selbst in der Schusslinie stehen, wenn sie es nicht tun.


💼 Was das für Plattformen konkret bedeutet

Die Folgen sind enorm – besonders organisatorisch und wirtschaftlich:

🧑‍⚖️ 1. Juristische Einzelfallprüfung statt Automatismus

Plattformen müssen künftig prüfen, ob der gemeldete Verstoß überhaupt gerechtfertigt ist. Das bedeutet:

  • Aufbau von Rechtsabteilungen, die Einzelfälle bewerten
  • Verlangsamung des Takedown-Prozesses
  • Kollisionsrisiko mit DSA-Vorgaben zur schnellen Reaktion

👥 2. Mehr Personal

Für Amazon oder Otto bedeutet das konkret: Es braucht mehr qualifiziertes Personal, idealerweise mit juristischem Hintergrund, das Meldungen im Detail sichtet. Das bedeutet:

  • Kostensteigerung für Plattformbetreiber
  • Verzögerungen in der Sperrung von wirklich rechtswidrigen Inhalten
  • Risiko, dass Markeninhaber klagen, wenn zu spät gehandelt wird – und gleichzeitig Risiko, dass Händler klagen, wenn zu schnell gehandelt wird

🧨 3. Plattformen haften in beide Richtungen

Plattformen geraten nun auch ins Visier der Markeninhaber – nicht nur der Händler.

Denn: Wenn eine Plattform einen mutmaßlich rechtsverletzenden Artikel nicht sperrt, droht eine Klage vom Rechteinhaber wegen Beihilfe zur Markenverletzung. Wird aber zu schnell gesperrt, droht eine Klage des Händlers wegen unrechtmäßiger Sperrung.

Das Urteil zwingt Plattformen damit in eine fast unlösbare Doppelrolle: Richter, Vollstrecker – und womöglich auch noch Beklagter.


🔁 „Notice & Takedown“ – so nicht mehr haltbar?

Das LG Düsseldorf nimmt das klassische Meldeverfahren nicht grundsätzlich ins Visier, erkennt aber seine Gefahren:

„Die Anzeige einer Schutzrechtsverletzung gegenüber dem Plattformbetreiber begründet die nicht fernliegende Gefahr, dass dieser vom Plattformbetreiber ohne nähere Prüfung zum Anlass genommen wird, den Mitbewerber […] auszuschließen.“ (Rn. 74)

Die Folge:

  • Händler verlieren Umsatz, Sichtbarkeit und Vertrauen
  • Wiederholte Meldungen können zur Sperrung des gesamten Accounts führen – auch ohne rechtliche Grundlage
  • Händler werden geschäftlich ruiniert, obwohl kein Verstoß vorliegt

Daher verlangt das Gericht eine klare Verhältnismäßigkeit: Der Schutzrechtsinhaber soll zuerst abmahnen oder verwarnen – und nur dann Plattformen einschalten, wenn diese Schritte scheitern.


💬 Einschätzung von Patentanwalt Dr. Rolf Claessen

Dr. Claessen bringt es auf den Punkt:

„Das Landgericht Düsseldorf vertritt die Auffassung, dass der Schutzrechtsinhaber vor der Meldung der Verletzung an Amazon zunächst hätte abmahnen oder verwarnen müssen. […] Das Landgericht scheint hier auch Amazon kritisch gegenüberzustehen, da der Plattformbetreiber ohne nähere Prüfung Angebote sperren würde.“

Claessen, Autor von „Marken. Recht. Einfach“, weist außerdem darauf hin, dass in Düsseldorf noch weitere Fälle anhängig sind, die die Plattformhaftung vertiefen könnten.


🛍️ Fazit für Händler & Rechteinhaber

📦 Für Händler:

  • Wer unberechtigt gesperrt wurde, kann klagen
  • Eine Listing-Sperrung auf „Zuruf“ reicht nicht mehr aus
  • Händlerrechte werden gestärkt – Transparenz und Prüfung sind einzufordern

🧑‍⚖️ Für Rechteinhaber:

  • Wer zu schnell zu Amazon rennt, haftet selbst
  • Abmahnung wird zur zwingenden Vorstufe
  • Taktische Sperrversuche können teuer enden (Gruß nach China👲🏻)

🚨 Was du jetzt tun solltest

Händler: Lass eine unberechtigte Sperrung nicht einfach stehen. Dokumentiere alles, wehre dich aktiv – und prüfe, ob Schadensersatz möglich ist.

Amazon Haftung bei Sperrungen - Zitat Ronny Freitag Vorstand BuVeC e.V

Rechteinhaber: Nutze immer eine Abmahnung als ersten Schritt. Alles andere kann nicht nur dein Ruf, sondern auch dein Konto ruinieren.


 

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