Die Fintyre Insolvenz ist bisweilen im Onlinehandel kaum betrachtet worden. Dennoch hat sie Auswirkungen. Daher möchte ich einmal die Konsequenzen für den Onlinehandel beleuchten. Dazu hat Wortfilter Michael Saitow befragt. Michael ist Gründer der Reifenplattform tyre24.com und CEO der Saitow AG in Kaiserslautern.  Sein Unternehmen betreibt mehrere Plattformen und B2B-Marktplätze. Mit reifen-vor-ort.de schaffte er einen lokal orientierten B2C-Reifenmarktplatz. Michael gilt als Kenner des deutschen und internationalen Reifenmarkts. Vor allem aber ist er wegen seinen klaren Positionen und Meinungen beliebt.

Was denkst du, was bei Fintyre schiefgelaufen ist?

Die Situation von Fintyre erinnert mich etwas an Tirendo damals. Das theoretische Wissen von topausgebildeten Managern anhand von Excel-Sheets reicht nicht aus. Der Reifenmarkt ist sehr speziell und ohne das nötige Praxiswissen ist es sehr schwer, in diesem Markt erfolgreich zu sein.

(Seit 2019 mit an Bord der Saitow AG. Christian Koeper ex-eBayianer)

Die Intention von Fintyre war, bei der Konsolidierung des Reifenmarktes mitzumischen. Mit dem Kauf von einigen Bigplayern der Branche und der dadurch entstandenen Marktmacht wollte man die Industrie bei den Einkaufspreisen unter Druck setzen – was jedoch nicht gelang. Die Margen bei Reifen sind dafür einfach zu gering. Zudem wurden auch das eine oder andere Unternehmen vor der Übernahme „aufpoliert“, sodass es auf dem „Excel-Sheet“ besser aussah, als es sich in der Realität darstellt. So flossen viele Millionen mehr bei Verkäufen als gerechtfertigt. Ein weiterer Grund war sicherlich, dass bei den übernommenen Großhändlern die Managementebene größtenteils durch „Branchenfremde“ ausgetauscht wurde. Dadurch waren nicht nur große Summen an Abfindungen fällig, sondern auch die „Branchenkenntnisse“ gingen verloren.

Hatte das Unternehmen tatsächlich eine starke Position?

Ja, zu Fintyre gehörten einige der umsatzstärksten Großhändler in Deutschland. Die Unternehmen der Fintyre Gruppe trugen auch auf Tyre24 zu einem nicht unerheblichen Teil zum Umsatz bei. Zudem war mit der Muttergesellschaft Bain-Capital von London genügend Kapital vorhanden.

War das Ende abzusehen? Also hat sich im Vorfeld schon etwas angekündigt?

Die Gerüchte am Markt gab es schon seit Frühjahr 2019. Auf der Essen Motorshow 2019, auf der die ganze Branche sich zum Networken versammelt, war die angespannte finanzielle Situation von Fintyre Gesprächsthema Nummer 1.

Glaubst du, dass sich der Preiskampf im Reifenhandel etwas entspannen wird?

Nein, da wird sich nicht viel ändern. Die Margen sind im Reifenhandel halt sehr gering und der Markt ist überdistribuiert. Die Konsolidierung wird weitergehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Reifengroßhändler künftig ihr Portfolio auch um KFZ-Teile erweitern.

Wer wird nun von der Pleite profitieren?

Die Industrie wird jetzt erstmal aufatmen. Aber die anderen umsatzstarken Großhändler sehen natürlich ihre Chance und werden versuchen, davon zu profitieren und ihrerseits die Macht gegenüber der Industrie zu stärken. Die Karten werden also neu gemischt. Von der Pleite werden auch Plattformen wie Tyre24 profitieren. Die Händler, die von Fintyre beliefert wurden, stehen jetzt, so kurz vor der Umrüstsaison, vor dem Problem, wie sie noch rechtzeitig an Reifen kommen. Diese Händler werden sich jetzt genau überlegen, ob sie in Zukunft nochmals nur mit einem Lieferanten zusammenarbeiten und sich der erneuten Gefahr einer solchen Situation aussetzen. Auf einer B2B-Plattform besteht durch die Plattformökonomie diese Gefahr nicht. Durch die große Anzahl an Anbietern werden solche Insolvenzen abgefedert. Neue Anbieter nehmen die Rolle ein, sodass sich für die gewerblichen Käufer wie Reifenhändler, Werkstatt oder Autohaus nichts ändert und auch sie sich sicher sein können, die benötigten Reifen auch während der Saison immer zu besten Großhandelspreisen und in einer hohen Verfügung beschaffen zu können.

Wie würdest du allgemein den Reifenmarkt 2019 beschreiben und was denkst du bringt 2020?

Der Reifenmarkt 2019 hatte einen Negativtrend. Im Vergleich zu 2018 gab es 2019 bei der Stückzahlentwicklung im Sell-in (Industrie an Handel) einen Rückgang von 8,3 Prozent. Beim Sell-out (Handel an Verbraucher) einen Rückgang von 1,3 Prozent. Was 2019 einen deutlichen Rückgang hatte, war das Winterreifengeschäft aufgrund des fehlenden Schnees. Deutlich auf dem Vormarsch waren 2019 wieder die Ganzjahresreifen mit einer Steigerung im Sell-out von fast 20 Prozent im Vergleich zu 2018.

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Der Reifenmarkt ist ein Saisongeschäft. Deshalb wird die Entwicklung wahrscheinlich auf dem Niveau von 2019 liegen, es sei denn, es gibt in diesem Jahr einen richtigen Winter mit viel Schnee. Dann wird die Nachfrage nach Winterreifen wieder besser werden. Ansonsten werden die Ganzjahresreifen auch 2020 nochmals mehr zulegen.

Werden kleine Reifenhändler noch eine Chance haben? Benötigen sie z. B. Zusatzgeschäfte über Kleinstreparaturen wie z. B. Auspuff und Bremsen?

Früher war das Reifengeschäft die Domäne der Reifenhändler. Das hat sich in den letzten Jahren extrem gewandelt. Die Werkstätten und Autohäuser haben das Reifengeschäft auch für sich entdeckt. Insbesondere zur Kundenbindung. Denn eine bessere Möglichkeit den Kunden im Idealfall zweimal ins Geschäft zu bekommen, gibt es nicht. Das reine Zusatzgeschäft durch den Reifenverkauf spielt eher eine untergeordnete Rolle, da die Margen beim Reifen sehr gering sind. Anders sieht es mit den Margen im Bereich KFZ-Teile aus. Deshalb wird der Autoservice für Reifenhändler als Ertrags- und Umsatzbringer immer wichtiger. Mehr und mehr Reifenhändler entwickeln sich zu Full-Service-Werkstätten oder bieten Fast-Fit-Service an und benötigen dadurch Teile. Um den geänderten Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, haben wir auf unserer B2B-Plattform Tyre24 das Produktportfolio vor drei Jahren um den Bereich KFZ-Teile ausgebaut. Die B2B-Plattform schafft dadurch für den Reifenhandel noch mehr Nutzen, da diese Zielgruppe erfahrungsgemäß nicht so im Fokus der regionalen Teilesortimentsgroßhändler steht wie die klassische freie Werkstatt und mittlerweile auch das Autohaus.

Wie denkst du über den Onlinereifenhandel, über Shops und Marktplätze wie eBay?

Die Branche liegt mir wirklich am Herzen, deshalb ist meine Meinung, dass der Handel die Marge am Reifenverkauf braucht, um zu überleben. Zudem müssen die Reifen auch montiert werden. Generell sind wir stark auf B2B fokussiert. Ich habe mir aber gedacht, warum soll eigentlich der Onlinehandel dem Fachhandel vor Ort das Geschäft wegnehmen und ihn zur Montagestation degradieren. Das wäre, als wenn ich ins Restaurant ginge und meine Flasche Wein selbst mitbringe. Deshalb haben wir mit reifen-vor-Ort.de einen B2C-Plattform geschaffen, bei der die Angeschlossenen die Reifen noch selbst verkaufen und montieren.

Michael, ganz lieben Dank, dass du dir die Zeit für Wortfilter und die Community genommen hast!