Zuerst sahen wir einen riesigen Stau in den chinesischen Häfen. Lkw und Container waren kaum von den Fabriken zu den Häfen zu bekommen und nun setzt sich die Herausforderung fort. Vor den Importhäfen stauen die Schiffe. Auch in der Nordsee. Das bedeutet im Ergebnis, dass wir noch sehr lange warten dürfen, bis sich die Lieferkettensituation entzerrt. 2022 ist mit keiner Normalisierung des Schiffsverkehrs zu rechnen. Darauf solltet ihr euch einstellen.

Das ist der Kiel Trade Indicator

Der Kiel Trade Indicator vom IfW Kiel gibt euch zweimal im Monat Einblick in die Situation. Der Index schätzt die Handelsflüsse (Im- und Exporte) von 75 Ländern und Regionen weltweit sowie des Welthandels insgesamt. Im Einzelnen umfassen die Schätzungen über 50 Länder sowie Regionen wie die EU, Subsahara-Afrika, Nordafrika, den Mittleren Osten oder die Schwellenländer Asiens. Grundlage ist die Auswertung von Schiffsbewegungsdaten in Echtzeit. Ein am IfW Kiel programmierter Algorithmus wertet diese unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz aus und übersetzt die Schiffsbewegungen in reale, saisonbereinigte Wachstumswerte gegenüber dem Vormonat.

Containerschiffstaus erreichen die Nordsee

Der internationale Handel leidet wieder stärker unter den Staus und Verzögerungen der Containerschifffahrt, die nun auch die Nordsee erreicht haben. Laut jüngstem Datenupdate des Kiel Trade Indicator dürften im Mai weltweit weniger Waren umgeschlagen worden sein als im Vormonat (preis- und saisonbereinigt). Unter den großen Volkswirtschaften sticht China positiv hervor.

 

Kiel Trade Indicator 05/22

Das jüngste Datenupdate des Kiel Trade Indicator für Mai weist für den Welthandel im Vergleich zum Vormonat ein leichtes Minus von 1 Prozent aus (preis- und saisonbereinigt). Auch für Deutschland sind die Indikatorwerte nur schwach ausgeprägt, die Exporte liegen im roten Bereich (-1,2 Prozent), die Importe im grünen (+1,6 Prozent). Ein ähnlich uneinheitliches und wenig eindeutiges Bild zeigt sich für die EU (Exporte: -1 Prozent; Importe: +0,4 Prozent) und für die USA (Exporte: -1,3 Prozent; Importe: +1,8 Prozent). China sticht unter den großen Volkswirtschaften im Mai positiv hervor, was allerdings auch am schwachen April liegen dürfte. Im Vergleich dürften die Exporte leicht (+2,1 Prozent), die Importe sogar deutlich (+7 Prozent) gestiegen sein.

»Insgesamt zeigt sich der Maihandel eher verhalten und setzt die Seitwärtsbewegung der letzten Monate fort. Der internationale Handel leidet jedoch wieder stärker unter den Staus und Verzögerungen der Containerschifffahrt, die nun auch die Nordsee erreicht haben«, so Vincent Stamer, Leiter Kiel Trade Indicator.

Erstmals seit Ausbruch der Pandemie stauen sich Containerschiffe auch in der Nordsee vor den Häfen Deutschlands, Hollands und Belgiens. Hier stecken gegenwärtig knapp 2 Prozent der globalen Frachtkapazität fest und können weder be- noch entladen werden. In der Deutschen Bucht warten etwa ein Dutzend große Containerschiffe mit einer Kapazität von insgesamt etwa 150.000 Standardcontainern auf das Anlaufen in Hamburg oder Bremerhaven. Vor den Häfen Rotterdam und Antwerpen ist die Lage noch dramatischer. Dagegen hat sich der Containerschiffstau vor Los Angeles bzw. vor dem südlichen Kalifornien wieder gänzlich zurückgebildet.

 

Kiel Trade Indicator 05/22

 

Vor Shanghai und der angrenzenden Provinz Zheijang sind gegenwärtig sogar über 3 Prozent der globalen Frachtkapazität im Stau gebunden. Dafür konnten aber wieder mehr Schiffe den vom Lockdown betroffenen Hafen Shanghai verlassen. In der zweiten Maihälfte lagen die Abfahrten auf vergleichbarem Niveau zu Chinas übrigen Häfen. Gegenwärtig liegen sie allerdings wieder rund 15 Prozent darunter. Bisher sind wegen des Lockdowns in Shanghai Exporte im Wert von bis zu 700 Millionen Euro von China nach Deutschland entfallen.

 

Kiel Trade Indicator 05/22

 

»Dass in den vergangenen Wochen Exporte Shanghais trotz Lockdown-Maßnahmen wieder gestiegen sind, zeigt aber auch, dass die Firmen dort in den Startlöchern stehen und bei einer Beendigung des Lockdowns die Produktion wohl wieder schnell hochfahren können«, so Stamer.

Insgesamt stecken derzeit über 11 Prozent aller weltweit verschifften Waren im Stau. Im Roten Meer – der wichtigsten Seehandelsroute zwischen Asien und Europa – ist die Lücke zwischen zu erwartenden und tatsächlich verschifften Frachtmengen auf rund 16 Prozent angewachsen, nachdem sie sich im Februar nahezu geschlossen hatte.